Anführer sein oder sein sollen

Dieser Beitrag ist sowohl für diejenigen wichtig, die in ihrem sozialen Umfeld normalerweise führende Rollen einnehmen, als auch für diejenigen, die sich der Sicherheit der Führung gütlich tun.

Soziale Rollen geben uns soziale Normen vor, die ebenfalls soziale Notwendigkeiten sein können. Diese sind natürlich nicht immer deckungsgleich mit moralischen Normen. Wie sie in Widerspruch zueinander stehen können, soll hier erstmal nicht Thema sein. Vielmehr arbeite ich zunächst einige Sachverhalte zur sozialen Hierarchie heraus, mit welcher wir solange konfrontiert sind, wie wir sozial leben.

Dass sich einige Menschen als Oberhaupt von Gruppen anderer Menschen etablieren, ist allgegenwärtig. Die Gründe dafür sind vielfältig, doch eines ist gemeinsam: Dem Oberhaupt kommt eine gewisse Autorität zu. Die Gruppenmitglieder richten sich an dieser aus. Damit ist nicht gesagt, dass sie ihm hörig sind oder sein sollen. Diese Ausrichtung ist freiwillig, solange dieses Oberhaupt keine Macht ausübt.

Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht. (Weber, Wirtschaft & Gesellschaft, 38, Kapitel 1, §16)

Zwei Dinge sind hier wichtig:

  1. Macht haben und Machtausüben sind zwei verschiedene Dinge. Oberhäupter haben normaler Weise Macht. Doch die Macht kann, ähnlich dem Blinddarm, funktionslos an der Beziehung hängen, solange sich beide dessen bewusst sind, dass ihr erfolgreicher Gebrauch die Selbstbestimmung des gegenübers notwendiger Weise untergräbt.
  2. Es kommt auf den Willen an. Weber differenziert hier nicht zwischen Lust und vernünftigem Willen, so wie Kant es tut. In diesem Falle ist diese Unterscheidung nicht wichtig, denn egal ob die Richtung des Handelnden lust- oder willensbestimmt ist, ihre Richtung zu verändern bedeutet in jedem Fall Unterwanderung der Selbstbestimmung.

Nicht als Macht werte ich diejenigen Handlungen, die am Willen und/oder an der Lust selbst greifen. Überzeugt der eine, den anderen durch eine Argumentation, kriegt er auch das, was er will, jedoch nicht gegen den Willen des Gegenübers. Der Wille des Überzeugten hat seine Richtung geändert.

Der wichtige Unterschied von machtbedingter und überzeugungsbedingter Willenserfüllung ist, dass die Selbstbestimmung im ersten Fall untergraben wurde und im Zweiten nicht.

Dieser Punkt ist immer genau dann wichtig, wenn man den Gegenüber moralisch ernst nehmen will. Das ist insbesondere in einer Freundschaft wichtig. Einerseits ist es unmöglich sich auf gleicher Autoritäteneben zu bewegen. Der eine kann besser im gemeinsamen Hobby sein, während der andere sich vielleicht sicherer in sozialen Umgebungen wie Partys fühlt.

Derjenige der gerade diese Autorität inne hat, sollte sich dieser Verantwortung bewusst sein, denn aus dieser Position heraus kann man den anderen auch überrumpeln. Paradebeispiel ist es, wenn man zum Alkohol trinken überredet wird. Eigentlich will man nicht, aber man ist psychisch nicht robust genug sich zu widersetzen.

Führung zu haben bedeutet Sicherheit zu fühlen. Sicherheit hat man dann, wenn dieses Führen in Berücksichtigung der moralischen Konsequenzen des Handelns mitführt. Nur dann kann man sich in anderen Bereichen und auch im miteinander auf Augenhöhe begegnen.

In manchen sozialen Verhältnissen kann das Oberhaupt auch ein Totales sein. Eine alleinerziehende Mutter beispielsweise ist so ein totales Oberhaupt. Ihre Kinder sind ihrer Führung in jedem Bereich des Lebens unterstellt. In dieser Sonderrolle ist es einerseits entlastend für die Mutter, dass Kindern keine vollständige Selbstbestimmung zugerechnet wird. Schließlich müssen sie noch Willen entwickeln.

Andererseits obliegt es der Mutter aber diese Entwicklung nach bestem Vermögen zu fördern ohne sich selbst aufzugeben. Das erhöht den Druck auf die Mutter durch eine enorme Verantwortung.

Glücklicherweise hat es Mutter Natur so eingerichtet, dass der Mutter in Form von Mutterliebe entsprechende Pufferungsmechanismen zur Verfügung stehen. Moralische Erziehung ist hart sowohl für die Mutter als auch für ihr Kind. Schließlich ist Stärke notwendige Voraussetzung für Moral und diese Stärke zu erlangen braucht Training. Das heißt, dass diese Mutter das Kind mit Entscheidungen konfrontieren muss, die hart für das Kind sind. Das Kind muss diese alleine treffen und sich im Moment der Entscheidung auch alleine fühlen. Der Grad zwischen Forderung und Überforderung ist schmal und als Mutter ist der Wunsch natürlich groß es dem Kind so gut gehen zu lassen wie nur möglich. Auch die Mutter muss gegen ihr Gefühl das Richtige tun.

Ist die moralische Erziehung geglückt, wird das Kind zurückblicken und feststellen: Es war nicht immer schön, aber es hat mich zu einem besseren Menschen gemacht.

Alte Stammeskulturen, Glaubensgemeinschaften und Ähnliches haben die gleiche Struktur. Nicht umsonst wird der Pastor auch mit “Vater” angesprochen. Ich frage mich: Wer kann geistiges Oberhaupt einer Gruppe von Menschen sein ohne Mutterliebe, ohne tiefen Glauben an einen Gott oder eine mystische Verbundenheit zur Natur?

Früher hatten wir so eine Sicherheit und sind auch lange Zeit in einer solchen Sicherheit evolviert. Nun werden wir nach 18 Jahren MTV und elterlicher Vernachlässigung in die Welt gestoßen. Wer wundert sich, dass wir uns in Alkohol, Routine aus Arbeit und Fernsehen, Rumhuren verlieren? Freiheit ist Unsicherheit und diese will ertragen gelernt sein. Die Gelegenheiten Moral zu vergessen sind vielfältig. Und keiner wird mehr zum Schamanen ausgebildet (und keiner will die Qual ertragen, die nötig ist, um sich dafür zu qualifizieren) werden. Die Sünden eines Priesters wiegen schwer, denn Dreck ist auf einer weißen Weste leicht zu erkennen.

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