Csikszentmihalyi über modernes Glück

Diese kulturelle Hybris, diese arrogante Annahme, daß wir bestimmte Rechte von einem Universum zugeteilt bekommen, das grundsätzlich menschlichen Bedürfnissen gleichgültig gegenübersteht, hat früher oder später ein böses Erwachen zur Folge. Wenn Menschen zu glauben beginnen, Fortschritt sei unvermeidlich und das Leben schön, verlieren sie angesichts der ersten Anzeichen von Not ihren ganzen Mut und ihre Entschlossenheit. Wenn sie merken, daß das, was sie glaubt haben, nicht ganz stimmt, verlieren sie den Glauben an alles, was sie bisher gelernt haben. Ohne die gewohnte Unterstützung der kulturellen Werte zappeln sie in einem Morast der Angst und Apathie

Derartige Symptome für Desillusionierung sind gegenwärtig kaum zu beobachten. Die offensichtlichsten drücken sich eher in einer alles durchdringenden Teilnahmslosigkeit aus, die so viele Leben beeinträchtigt. Wirklich glückliche Individuen gibt es nur sehr selten. Wie viele Menschen kennen Sie, die gern tun, was sie tun, die mit ihrem Los relativ zufrieden sind, die die Vergangenheit nicht bedauern und mit echtem Vertrauen in die Zukunft blicken? Wenn Diogenes mit seiner Laterne vor zweitausenddreihundert Jahren Mühe hatte, einen ehrlichen Menschen zu finden, dann hätte er heute vermutlich mehr Schwierigkeiten, einen glücklichen zu finden.

Aus: Mihaly Csikszentmihalyi (2002): Flow. Das Geheimnis des Glücks, Leck: Klett-Cotta.

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