Das Lästerparadox

Dies ist einer der ganz berühmten Sätze deutscher Sprache:

Erzähl es nicht weiter. Du darfst das eigentlich gar nicht wissen.

Nahezu jeder Mensch erlebt es, dass jemand einem etwas anvertraut, was er dieser nicht weitersagen sollte. Er oder sie erzählt etwas weiter, zu dessen Geheimhaltung er sich ursprünglich verpflichtet hat.

Was ist das Ziel einer solchen Handlung? Der Mensch, der gerade das Geheimnis weiterträgt, hat nur in den seltensten Fällen die primäre Motivation, das Vertrauen, das ihm geschenkt wurde, zu missbrauchen.

Es gibt verschiedene Motivationen und sie haben alle etwas mit dem Ränkespiel zu tun, das sich wie von alleine in Gruppen wie Teams einer Arbeitsstelle oder größeren Cliquen zu bilden scheint.

  1. Es geht um das Gefühl von Macht und Überlegenheit. Häufig wird, im gleichen Atemzug mit dem Geheimnis, selbst hart und oberflächlich über den Inhalt desselbigen geurteilt.
  2. Es geht um Vertrauen. Schließlich zieht der Lästerer einen weiteren Gegenüber ins Vertrauen.

Während es relativ unproblematisch ist, zu behaupten, dass es um das Gefühl von Macht und Überlegenheit geht, wenn man über jemanden lästert, ist der zweite Punkt oft nicht berücksichtigt.

Der Lästerer möchte ein Bündnis zwischen sich selbst und der Person, welcher er das Geheimnis verrät, knüpfen. Das Paradoxe ist nun, dass dieses Band durch das Vertrauen geknüpft werden soll, dass der Lästerer nun dem Anderen zu schenken scheint. Eben durch diese Handlung hat er jedoch bewiesen, dass er keine vertrauenswürdige Person ist. Indem er den anderen ins Vertrauen zieht, beweist er, dass er nicht vertrauenswürdig ist.

Genau in dieser Situation spiegelt sich ein klassischer Denkfehler von Menschen wider, welche sich wundern, dass sie es nicht schaffen gelingende Beziehungen oder Freundschaften zu führen.

Sobald dies in eine soziale Gruppe als regelmäßiges Verhalten aufgenommen wird, erodiert der Gruppenzusammenhalt. In anderen Situationen kann so ein Verhalten kompensiert werden. Durch einen äußeren Feind in Kriegssituationen. Man denke nur an die Situation, wenn ein Lehrer die Klasse tyrannisiert. Es gibt nichts, was so zusammenschweißt, wie ein gemeinsamer Feind.

Dieses Verhalten findet nun in einem völlig anderen Kontext statt. Es findet in einer Kultur statt, in welcher Gemeinschaft keine zentraler Wert mehr ist. Es ist bei vielen gemeinsam geteilte Meinung, dass man keinem mehr Vertrauen kann. Dass dieses Problem durch eben dieses Verhalten entsteht, wird ausgeblendet.

Das Neue ist ein weiteres Element unserer Kultur. Menschen sind chronisch überfordert und chronisch gelangweilt. Doch ein neues Geheimnis, neuer Tratsch, bringt ein bisschen Farbe in den Alltag. In einem erfüllten Leben ist kein Platz für Lästereien und Tratsch. Dann hat man genug andere Dinge zu tun.

Lästereien und Tratsch sind eine erhebliche Belastung für das soziale Leben, doch man kann sich nicht einfach vornehmen, nicht mehr daran teilzuhaben. Man kann dies versuchen, doch wenn man den Kontext nicht ändert, wird man immer anfällig für dieses Problem sein.

So begründet sich die einfache Alltagsbeobachtung, dass Menschen sich entweder mit der Moderne identifizieren, ständig nach Genuss durch Konsum suchen, lästern, Modetrends folgen und sich zwischen einem 9to5-Job und Freizeit zerreißen lassen, oder Aussteiger zu sein scheinen, wenn sie sich aus diesem Hamsterrad der Moderne befreien wollen.

Hier entsteht meine Ablehnung der modernen Kultur als Ganzes. Es ist nicht so, dass alle Aspekte der modernen Kultur schlecht sind. Doch sie sind so eng miteinander verknüpft, dass man diese Konditionierung in sich vollständig zerstören und sich wieder neu aufbauen muss, will man sich wirklich von den modernen Problemen lösen.

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