Schlechte Laune als Scheinmoralität

Für viele Menschen ist schlechte Laune eine der wenigen Möglichkeiten, wie sie sich als tugendhafte Menschen fühlen können.

Gutmenschen zeigen sich beispielsweise empört, wenn man falsche Begriffe in einer Talkshow benutzt hat. Sie zeigen gewissermaßen konditionierte Empörung. Wie moralische Maschinen schreien sie auf, wenn jemand beispielsweise die Medien als gleichgeschaltet bezeichnet und bellen: “Du Nazi!” Verstehen jedoch nicht, dass eben das der Vorwurf ist, der gegen die Medien gerichtet wurde. Sie zelebrieren ihre Empörung im Sinne der Wortgeschichte: Celebrare ist lateinisch für feiern. Endlich wieder kann ich wieder Tugend heucheln! Ein solcher Ausruf wäre immerhin ehrlich.

Andere Menschen brauchen Stunden, um sich von einem Bericht über hungernde Kinder zu erholen. Ihr Mitleid drückt sich ausschließlich darin aus, dass es nun auch ihnen schlecht geht. Interessant ist, dass sich das Mitleid von nur sehr wenigen Menschen in Handlunge ausdrückt, die das Leben eben jener eigentlich leidender Menschen verbessert.

Scheinmoralität hat wie immer zwei Komponenten:

  1. Der Schein, mit dem wir versuchen fremde Augen zu blenden.
  2. Der Schein, mit dem wir versuchen unsere eigenen Augen zu blenden.

So erhält sich Scheinmoralität auf zwei Weisen:

  1. Wir blenden unsere eigenen Augen und fangen uns mit einem tückischen Köder. Moralisch zu sein ist bedeutsam, Bedeutung wichtiger als gute Laune. Die scheinmoralische Selbsttäuschung erscheint uns als bedeutsam — solange wir uns selbst belügen können, bleibt es auch so.
  2. Wir bieten uns gegenseitig leichte und wohlschmeckende Sinnkost an: Wer am lautesten bellt, das schönste Theater der Empörung spielt, dem wird am eifrigsten auf die Schulter geklopft. Scheinmoralität verbreitet sich als eine emotionale Krankheit mit moralischen Symptomen.

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