Schönheit und Wahrheit

Wahrheit ist nicht direkt zugänglich. Wenn wir einen direkten Zugang zur Wahrheit hätten, könnte es keinen Irrtum mehr geben. Wir wären uns unfehlbar sicher, ob etwas wahr oder falsch ist.

Weil Wahrheit nicht direkt zugänglich ist, brauchen wir so etwas wie eine Rechtfertigung. Es ist unser Mittel, um Hinweise für die Wahrheit von etwas zu sammeln.

Wenn wir uns zum Beispiel fragen, ob es wahr ist, dass Angela Merkel eine Frau ist, sammeln wir Eigenschaften, die dafür sprechen, und Eigenschaften, die dagegen sprechen.

Wenn wir nach der Wahrheit suchen, dann machen wir eine Unterscheidung zwischen dem Für-Wahr-Halten und dem Wahr-Sein. Diesen Unterschied versuchen wir durch unsere Bemühungen zu überwinden.

Verhält es sich mit Schönheit nicht ebenso?

Die meisten Menschen behaupten, dass die Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Das heißt, dass die meisten Menschen davon ausgehen, dass das Für-Schön-Halten identisch mit dem Schön-Sein ist. Doch die Spielregeln ändern sich, wenn wir nach der Natur der Schönheit fragen. Was ist Schönheit eigentlich?

Die Frage nach der Natur des Schönen ist identisch mit der Frage nach der Natur der Wahrheit:

  1. Gibt es Wahrheit unabhängig von einem erkennenden Subjekt?
  2. Gibt es Schönheit unabhängig von einem erkennenden Subjekt?

Schließlich wollen wir mit der Frage nicht wissen, was irgendjemand für schön oder wahr hält, sondern was Schönheit selbst ist.

Weil jeder von uns lediglich ein erkennendes Subjekt ist, kann man diese Fragen natürlich nicht abschließend beantworten. Wir stoßen hier an die Grenzen, die durch unsere eigene Irrtumsmöglichkeit gesetzt sind. Es ist jedoch auffällig, dass die Frage nach der Schönheit an die gleichen Grenzen stößt, wie die Frage nach Wahrheit. Wir stehen dabei vor den Problemen der Letztbegründung. Wie kommen an diese nicht heran, zumindest nicht im formalen Sinne.

Von der Forderung der Widerspruchsfreiheit, also der Forderung die Mindestvoraussetzung für Sinn zu erfüllen, betrachtet können wir aber eine Entscheidung erzwingen.

Schlussendlich versuchen wir das Für-Wahr-Halten möglichst plausibel zu machen. Wie überprüfen wir das Ganze? Wir wählen Kriterien aus, die uns zeigen, ob unser Für-Wahr-Halten auch wirklich die Wahrheit trifft. Wir kommen nicht umhin irgendeine Form von unabhängiger Wahrheit zu unterstellen. Sonst hätten wir mit unseren Erkenntnisbemühungen kein wirkliches Ziel.

Pessimistische Erkenntnistheorien sind es nur im Bezug darauf, dass wir nicht an die unabhängige Wahrheit gelangen. Laut ihnen sind gefangen in unserem Für-Wahr-Halten.

Wo ist der Unterschied zur Schönheit?

An diesem Punkt ist kein Unterschied erkennbar. Man mag unseren direkten Zugang zu einer von uns unabhängig existierenden Schönheit verneinen. Das setzt aber voraus, dass man Schönheit als unabhängig von uns akzeptiert, solange man ästhetische Urteile trifft.

Zu sagen, dass mein ästhetisches Urteil abhängig von mir als erkennenden Subjekt ist, ist genauso inhaltsreich oder -arm, wie zu sagen, dass mein Wahrheitsurteil von mir als erkennenden Subjekt abhängt.

Wenn sich Schönheit so wie Wahrheit verhält, ist es plausibel, dass es eine von uns als erkennendem Subjekt unabhängige Schönheit gibt.

6 Responses to “Schönheit und Wahrheit”

  1. Mitleser

    “Wahrheit ist nicht direkt zugänglich.” “Wenn sich Schönheit so wie Wahrheit verhält, ist es plausibel, dass es eine von uns als erkennendem Subjekt unabhängige Schönheit gibt.” Wenn ich dich richtig verstehe, dann gehst du davon aus, dass es eine unabhängige Wahrheit gibt. Wie kommst du zu dem Schluss?

    Antworten
    • donnerundpflicht

      Das ergibt sich daraus, dass alle Erkenntnisbemühungen irgendwie dein Für-Wahr-Halten und ein Wahr-Sein annähern sollen. Du kannst nicht versuchen, etwas zu erkennen, ohne von einer von dir unabhängigen Wahrheit auszugehen.

      Solange du versuchst Erkenntnis zu betreiben, brauchst du eine unabhängige Wahrheit als Annahme. Das heißt, dass jede erkennende Subjekt von einem zu erkennenden Objekt außerhalb von sich ausgehen muss. Sonst macht der Erkenntnisbegriff keinen Sinn.

      Dass es so etwas wie eine “wahre Schönheit” gibt, scheint vor dem Hintergrund plausibel, dass wir bei Schönheit mehr als nur ein Geschmacksurteil fällen. Man kann auch nur dabei bleiben und sagen “es gefällt mir”. Aber sobald man sich über das Warum Gedanken macht, braucht man wieder die Annahme eines unabhängigen Erkenntnisobjekts. Schönheit kann anerzogen sein (Schönheit als sozio-kulturelle Entität), sie kann in der Natur der Sache liegen (wenn man von der Schönheit der Natur ausgeht) usw.

  2. Mitleser

    Danke für deine Antwort. Sehr interessant, als ich deine ersten Beiträge zum Thema Schönheit gelesen habe, dachte ich, dass es in die Richtung des radikalen Konstruktivismus geht. Und dass es damit weniger um ein objektives Erkennen als um ein sinnvolles Konstruieren geht. Ist also dieselbe Sache für alle Menschen schön? So wie dieselbe Sache entweder wahr oder falsch ist? Ich habe gerade Probleme, die Konsequenzen des Begriffs der wahren Schönheit zu verstehen.

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    • donnerundpflicht

      Das Für-Jemanden-Schön-Sein ist nicht das Gleiche, wie wahre Schönheit.

      Über die Konsequenzen habe ich mir noch keine weiterführenden Gedanken gemacht. Eine Konsequenz ist zu sagen, dass man sich irren kann, wenn man etwas schön findet.

      Ein Beispiel wäre Attraktion. Von dieser Haltung aus kann man sich beispielsweise fragen, ob man jemanden anziehend findet, weil er wirklich anziehend ist oder ob man aufgrund seiner eigenen Struktur Anziehung zuweist.

      So wie jemand vielleicht dann auf brunette steht, weil er von blond verletzt wurde.

  3. Mitleser

    Ich habe weiter darüber nachgedacht und gerade habe ich einen Aufsatz gelesen, der mir bei diesem Thema sehr geholfen hat: Faltin, Peter (1980): Über Gegenstand und Sinn der philosophischen Ästhetik. In: International Review of the Aesthetics and Sociology of Musiv, Vol. 11, No. 2. (http://www.jstor.org/stable/836495)

    Hier sind zwei Zitate aus diesem Aufsatz:

    “Der Gegenstand der Ästhetik ist weder allein die Kunst noch primär das Schöne, sondern eine spezifische Wahrnehmungsdimension bzw. Wahrnehmungsdisposition des Menschen. Sie fragt nicht danach was das Schöne sei, sondern untersucht die Bedingungen und die Voraussetzungen, unter denen der Mensch etwas als schön empfindet sowie die subjektiven Regeln, nach denen sich das Wohlgefallen, die ästhetische Beziehung zur Welt, richtet, wobei sie die Existenz des Schönen a priori als eine Gegebenheit voraussetzt.” (S. 184 f.)

    “Aus diesem Grund ist sie [Anm. die Ästhetik] weniger um erlösende Antworten bemüht, als vielmehr um erklärende Theorien. Und Theorien können weder wahr noch falsch sein; sie sind entweder in sich stimmig und sinnvoll oder verworren und sinnlos.” (S. 175)

    So wie ich dich verstehe, decken sich deine Aussagen zum Teil mit den Inhalten des Aufsatzes. Mir hat er dabei geholfen, das Thema der Ästhetik einordnen zu können.

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    • donnerundpflicht

      @Mitleser:

      Das ist ähnlich der Position in der Wissenschaftstheorie, dass man als Philosoph im Grunde nur nacherzählt, wie es denn zur Wahrheitsfindung gekommen ist. Ich denke, dass Faltin da einen Teil von Ästhetik beschreibt. Das Infragestellen der Bedingungen für das Vorliegen des Für-Schön-Haltens ist für mich aber ebenfalls eine Frage der Ästhetik als Disziplin.

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