Sinn als Frage des Lebens an uns

Die kopernikanische Wende des Sinnfrage: Sinn ist keine Frage, die wir stellen. Es ist eine Frage, die durch das Leben an uns gestellt ist.

Was hier not tut, ist eine Wendung in der ganzen Fragestellung nach dem Sinn des Lebens: Wir müssen lernen und die verzweifelnden Menschen lehren, daß es eigentlich nie und nimmer darauf ankommt, was wir vom Leben noch zu erwarten haben, vielmehr lediglich darauf: was das Leben uns von erwartet!1

Das ist eine großartige Wende. Wir werden gefragt, weil wir die Antwort haben. Es ist eine Antwort des Handelns:

Zukünftig philosophisch gesprochen könnte man sagen, daß es hier also um eine Art kopernikanische Wende geht, so zwar, daß wir nicht mehr einfach nach dem Sinn des Lebens fragen, sondern daß wir uns selbst als die Befragten erleben, als diejenigen, an die das Leben täglich und stündlich stellt — Fragen, die wir zu beantworten haben, indem wir nicht durch Grübeln oder Reden, sondern nur durch ein Handeln, ein richtiges Verhalten, die rechte Antwort geben. (Meine Hervorhebung)1

Es ist eine Frage der Verantwortung. Wenn wir diejenigen sind, die nicht nur die Antwort haben, sondern die Antwort durch ein Handeln geben, haben wir die Verantwortung. Wir müssen uns entschließen dieser Verantwortung gerecht zu werden.

Leben heißt letztlich eben nichts anderes als: Verantwortung tragen für die rechte Beantwortung der Lebensfragen, für die Erfüllung der Aufgaben, die jedem einzelnen das Leben stellt, für die Erfüllung der Forderung der Stunde.1

Wir haben die Antwort, können diese durch ein Handeln geben und können durch die Übernahme von Verantwortung diese eine Antwort geben. Wir können richtig liegen:

Immer aber ist jede Situation ausgezeichnet durch jene Einmaligkeit und Einzigartigkeit, die jeweils nur eine, eine einzige, eben die richtige “Antwort” auf die Frage zuläßt, die in der konkreten Situation enthalten ist.1

Weil die Frage an uns immer wieder neu und konkret gestellt ist, ist auch die Antwort darauf einzigartig. Es gibt nicht die eine Antwort, keinen ideologischen Hammer, mit dem wir die Lebensfragen platthauen können. Es ist etwas Künstlerisches, Ästhetisches in der Frage versteckt.

Diese Forderung, und mit ihr der Sinn des Daseins, wechselt von Mensch zu Mensch und von Augenblick zu Augenblick. Nie kann also der Sinn menschlichen Lebens allgemein angegeben werden, nie läßt sich die Frage nach diesem Sinn allgemein beantworten — das Leben, wie es hier gemeint ist, ist nichts Vages, sondern jeweils etwas Konkretes, und so sind auch die Forderungen des Lebens an uns jeweils ganz konkrete.[118][#viktor2018]

Und in jeder Situation ist der Mensch zu anderem Verhalten aufgerufen. Bald verlangt seine konkrete Situation von ihm, daß er handle, sein Schicksal also tätig zu gestalten versuche, bald wieder, daß er von einer Gelegenheit Gebrauch mache, erlebend (etwa genießend) Wertmöglichkeiten zu verwirklichen, bald wieder, daß er das Schicksal schlicht auf sich nehme.1


  1. Viktor Frankl (2018 (Ersterscheinung: 1946)): … Trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager, Pößneck: Penguin Verlag. S. 118. 

One Response to “Sinn als Frage des Lebens an uns”

Leave a Reply

  • (will not be published)

XHTML: You can use these tags: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>