Die moralische Störung

Der Begriff “moralische Störung” ist aus Überlegungen am Begriff der psychischen Störrungen entstanden: Wenn wir in das große Einführungsbuch “Psychologie” von Zimbardo sehen, finden wir sieben mögliche Kriterien:

  1. Leidensdruck oder Behinderung.
  2. Fehlanpassung. Nichterreichen eigener Ziele.
  3. Irrationalität.
  4. Unberechenbarkeit.
  5. Außergewöhnlichkeit (im negativen Sinne).
  6. Unbehagen bei Beobachtern.
  7. Verletzung moralischer und gesellschaftlicher Norm.

Wenn wir diese sieben Kriterien gruppieren, kommen wir auf zwei Typen von Kriterien:

  1. Die möglicherweise kranke Person leidet selbst. (1 und 2)
  2. Die möglicherweise kranke Person verstößt gegen die Erwartung des sozialen Umfelds (3-7)

Ob die Erwartungen durch das soziale Umfeld gerechtfertigt sind oder nicht. Das gilt es noch zu prüfen. Vorweg: Die kantianische Gesetzestreue werde ich nicht vertreten.

Ein Leiden soll aber ebenso wenig aus Prinzip unmoralisch sein. Die Utilitaristen (vor allem die Psychologen) werden ihre Intuition verletzt sehen. Die Position, dass Glück gut und Leid schlecht ist, ist von selbst nicht gerechtfertigt. Das liegt an dem Unterschied der Begriffe Glück und das Gute. Darüber aber mehr in zwei Beiträgen zu Psychologie und ihren moralischen Wert und Utilitarismus.

Ich werde mich davor hüten zu bestimmen, was das Gute und seine Umkehrung ist. Obwohl ich selbstverständlich eine Bewertung in dieser Kategorie zur Verfügung habe. Nicht umsonst habe ich die Selbstaussetzung der Frauen in Schäme dich, Weib! so dargestellt, wie ich sie eben dargestellt habe.

Beide Typen psychischer Störungsbegriff stützen den Begriff der moralischen Störung.

Um endlich eine positive Antwort zu geben: Moralisch gestört ist jemand, der die moralischen Notwendigkeiten nicht versteht oder akzeptiert.

Notwendigkeiten sind Zusammenhänge, die Sachverhalte erzwingen. “So und nicht anders” Wenn ich den Apfel loslasse, fällt er nach unten. Das wäre so eine Notwendigkeit.

Notwendigkeiten sind moralisch, wenn moralische Sachverhalte erzwungen oder unmöglich gemacht werden.

Hier drei Beispiele um dieses Konzept zu erläutern:

  • Man kann sich bei niemandem völlig fallen lassen, wenn man ihm nicht jeder Zeit die Wahrheit sagt. Kleine Notlügen, kleine Geheimnisse, der letzte Rest falscher Privatssphäre. Die Angst vor Enttäuschung und Verletzung stirbt erst mit dem letzten Geheimnis.
  • Wenn man sich eine Nuttenportion Schminke ins Gesicht schmiert, kann man nicht als der erkannt werden, welcher man ist. (Interessante Redeweise: “Mein Körper ist…” Ist der Körper ein Gegenstand in der Welt oder bin ich das nicht auch?)
  • Ich kann nur insofern als Frau erkannt werden, wie ich mich als Frau zu erkennen gebe. Wenn ich einem Mann seine Domänen streiche und selber versuche dominant, handwerklich oder weinerlich in Krankheit zu sein, dann beschneide ich mich selbst in meiner Weiblichkeit.

Die obigen Beispiele beinhalten keine Bewertungen, auch wenn man intuitiv dazu neigt, es zu sehen. Das Gefühl sich völlig fallen zu lassen, wirklich oder als Frau erkannt zu werden, sind keine Werte an sich.

Die Beispiele zeigen Notwendigkeiten auf und

  • wenn mir jemand erzählt, er könne seinem Partner nicht vertrauen, aber erzählen darf ich es dem Partner auf keinen Fall
  • wenn mir jemand erzählt, dass Männer oberflächliche Schweine sind, aber angemalt ist wie ein Clown in der Manege
  • wenn mir jemand erzählt, dass starke Männer ausgestorben sind, mich aber angiftet, wenn ich anbiete den Kaffee zu übernehmen

dann denke ich: Du bist moralisch gestört.

4 Responses to “Die moralische Störung”

  1. Mitleser

    Gerade den letzten Punkt (Selbstbeschneidung in der Weiblichkeit) finde ich sehr interessant und halte ihn für zu unterbewertet. Meiner Meinung nach ist eine Frau als Frau dann stark, wenn sie weiblich ist. Viele Frauen versuchen aber, duch männliche Attribute und Eigenschaften stark zu sein. Das hat nichts mit Emanzipation zu tun.

    Den Punkt mit der moralischen Störung verstehe ich aber nicht genau. Ist es eine Krankheit? Ist der gesunde Zustand, moralisch zu sein? Also ist man von Natur aus moralisch gesund?

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    • donnerundpflicht

      Du strukturierst den Begriff noch zu stark nach der psychologischen Störung, die als Entfernung von Gesundheit verstanden werden kann.

      Es kann Fälle geben, in welchem man sich gegen psychische Gesundheit oder gar körperliche Gesundheit entscheidet um sich von einer moralischen Störung zu befreien, obwohl es in den meisten Fällen eher so ausgehen wird, dass eine Bekämpfung der moralischen Störung mit einer psychischen und körperlichen Gesundung einhergeht.

      Ich bin aber noch auf der Suche nach einem Begriff, der das Fehlen von moralischen Störungen bezeichnen kann.

      Danke für deinen Kommentar.

  2. regulus

    Es gibt sicher bestimmte geschlechtstypische Attribute. Aber Das mit Handwerklichkeit etc ist ein meines Erachtens Unglücklich gewähltes Beispiel. Kleinkinder (und kleine Kinder) spielen unselektiv mit Werkzeug und Bügeleisen.

    Oder geht man hier von typisch männl./weibl. Attributen aus, die von der GEsellschaft so gesehen werden und sich nur aus Umwelt und Erziehung entwickelt haben? Warum? Dann ist Schminke genau so typisch Weiblich.

    Seit wann ist es cool geworden, auf das zu hören, was die Menge sagt?

    Antworten
    • donnerundpflicht

      Abgesehen davon, dass ich nicht denke, dass kulturelle Attribuierung der Mann-Frau-Differenz sich unabhängig von der Anlage angelegt werden können, ist das hier für das Argument nicht von Bedeutung. Als Mensch muss man sich in einer Welt zurecht finden, die sich sowohl aus Natur als auch Kultur zusammensetzt. Solange der Mensch in einer Kultur lebt, in welcher handwerkliches Geschick mit Männlichkeit assoziiert ist, entscheidet man sich durch Selbstattribuierung mit Handwerklichkeit für Männlichkeit und Weiblichkeit. Das meine ich mit Notwendigkeit.

      Wenn ich jetzt deinen Punkt mit der Schminke aufgreife, folgt daraus eine weitere Kritik an der Kultur. Wenn Schminke mit Weiblichkeit assoziiert ist, aber gleichzeitig das Gesicht (ein Teil der körperlichen Seite des Selbst) verbirgt, gilt: Als Frau muss ich mich zwischen einer Betonung der Weiblichkeit und der teilweise Verbergung des Selbst entscheiden. Sind heute in diesen Konflikt hineingeboren. Meine Meinung dazu sollte durch meine Wortwahl klar geworden sein. Das folgt aber noch. Das Schindluder, das mit Frauen getrieben wird, ist wichtiges Thema von Donner und Pflicht. Ich werde aber keine feministische Position einnehmen, was schon am Titel “Schäme dich, Weib!” erkennbar ist.

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