Philosophie der Akademie und Philosophie der Praxis

Ich wähle diese Begriffe, weil die Begriffe, die ich für passender halte, bereits innerhalb der wissenschaftlichen Philosophie belegt sind. Der Unterschied zwischen praktischer und theoretischer Philosophie verläuft da, wo die Frage “Was sollen wir tun?” ihre Grenzen zieht. Alles, was mit dieser Frage zu tun hat, ist praktische Philosophie und alles andere theoretische Philosophie.

Einige Fragen der praktischen Philosophie sind:

  • Was soll ich tun? (Moralphilosophie)
  • Was ist das Sollen? (Ethik)
  • Wie soll geherrscht werden? (Politische Philosophie)

Einige Fragen der theoretischen Philosophie sind:

  • Was ist in der Welt? (Ontologie)
  • Was kann ich wie erkennen? (Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie)
  • Was ist Sprache und wie ist sie in der Welt? (Sprachphilosophie)

Ein Vorfall in meinem Philosophiestudium hat mich veranlasst einen neuen Unterschied aufzumachen. Ich schrieb eine Hausarbeit über die Frage, ob Persönlichkeit als Kriterium für die Identität von Personen dienen kann oder nicht. Einfach ausgedrückt behandelte die Arbeit, ob die Persönlichkeit eines Menschen sich soweit verändern kann, dass er nicht mehr die gleiche Person ist.

Als Beispiel für einen solchen Persönlichkeitwandel wollte ich die Ereignisse des Stanford Prison Experiments von Phillipp Zimbardo benutzen. Meine Intention dafür war, dass ein Fallbeispiel, dass tatsächlich so passiert ist, für unser Leben große Relevanz hat. Ich nahm an, dass meine Argumentation so besonders überzeugend sein musste, weil ich mich ja nicht auf irgendwelche an den Haaren herbeigezogenen Fiktionen bezog, sondern auf die Welt, wie sie da draußen herumexistiert.

Der Gegenvorschlag des Dozenten war es, das Experiment durch ein Gedankenexperiment auszutauschen, in welchem ein verrückter Wissenschaftler durch irgendwelche Apparate die Persönlichkeit einer Person in völlig andere Richtung verändert. Er hatte Recht damit, dass ich mit diesem Beispiel sehr viel weniger angreifbar bin. Dass die Persönlichkeit sich verändert hat, ist in diesem Gedankenexperiment nicht angreifbar. Schließlich habe ich diese Persönlichkeitsveränderung vorausgesetzt, während man beim echten Experiment immer noch jeden Wandel, die Methoden usw. anzweifeln könnte. Akademisch wäre meine Argumentation stärker gewesen.

Trotzdem war ich ganz und gar nicht zufrieden. Ich schrieb die Arbeit mit dem Anspruch, dass ich in einigen Fällen auch zu Nichtphilosophen und zu Nichtakademikern hingehen könnte und ihnen sagen: Moment. Schau’ doch mal hier, Persönlichkeit und Person hängen so zusammen.

Ich wollte eine Antwort formulieren, die Relevanz für die Rechtswissenschaft haben könnte, oder gar für eine philosophische Lebensberatung, ich wollte eine Antwort formulieren, die etwas mit dem Leben zu tun hat. Ein verrückter Wissenschaftler mit absurden Geräten, man stelle sich mal vor, wie ein Anwalt dies vor Gericht als Argument für Strafmilderung wegen radikalen Persönlichkeitswandels hervorbringt. Phillipp Zimbardo hat dies übrigens versucht. Ich wollte ihm philosophischen Rückhalt geben.

Das ist es, was diesen Unterschied markiert. Akademische Philosophie spielt nur nach den Regeln der Universität, der Wissenschaft, eben der Akademie. Das tut sie ohne darauf zu achten, ob sie tatsächlich die Frage beantwortet “Was soll ich tun?”. Die Philosophie der Praxis will eine handlungswirksame Antwort auf eben diese Frage geben. Dieser Unterschied verläuft nach der gleichen Form, wie auch Grundlagenforschung von angewandter Wissenschaft getrennt wird. Die Lücke, die ich sehe ist: Angewandte Philosophie wird nicht gelehrt, obwohl die Frage “Was soll ich tun?” so zentral für unser Leben ist. Das Resultat ist: Auf der einen Seite gibt es riesiges, philosophisches Brachland aus akademischer Forschung und auf der anderen Seite gibt es Menschen, die eine Antwort suchen und brauchen, jedoch keine Finden, weil sie Brachland mit Ödland verwechseln. So wird der Philosoph in den Elfenbeinturm verbannt, obwohl ein guter Philosoph in das Zelt gehört, in welchem einst der Schamane saß.

9 Responses to “Philosophie der Akademie und Philosophie der Praxis”

  1. A

    Dieser Artikel gefällt mir bis jetzt am besten. Ich mag die schnörkellose und klare Sprache, derer du dich bedienst, denn so fällt es mir leichter, deinen Gedanken zu folgen. Man gewinnt beim Lesen den Eindruck, dass dir das Thema sehr wichtig ist und du intensiv darüber nachgedacht hast, was gute Voraussetzungen dafür sind, den Inhalt auch anderen nahe zu bringen. Außerdem (oder daraus folgend?) sind Informationen enthalten, die mich zur Nachfrage (nicht zum Widerspruch – was bei mir sonst so gut wie der Regelfall ist) reizen und bezüglich derer ich gerne mehr wissen will. Z.B. ist mir unklar, welches Themengebiet die Ontologie behandelt. Und wie hast du in deiner Hausarbeit argumentiert? Was war das Ergebnis? Aufgrund des Artikels vermute ich, dass du den Wissenschaftspluralismus kritisch betrachtest? Es geht dir nicht darum, zu irgendwelchen Ergebnissen zu kommen, die hinterher von allen gewürdigt werden, bei denen egal ist, wie nützlich und hilfreich sie für unser Leben sind. Es scheint dir um schlüssige Lösungswege und auch Antworten auf Fragen zu gehen, die jeden beschäftigen (sollten). Der letzte Satz gefällt mir besonders gut, denn er macht deutlich, welchen Anspruch du an dich selbst stellst. Ich denke, dass jeder diesen Anspruch haben sollte, denn er ist Voraussetzung für Weiterentwicklung sowie letzlich vielleicht für ein gutes Leben.

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    • donnerundpflicht

      Danke für die lobenden Worte. Klarheit ist wichtiges Kriterium bei meiner Selbstbeurteilung. Das Ergebnis meiner Hausarbeit war ein Dilemma, so dass die Intuition einen in zwei Richtungen führt: Persönlichkeit ist Kriterium für personale Identität und Persönlichkeit ist kein Kriterium für personale Identität. Ich bin starker Befürworter des Pluralismus. Das folgt aus meinem starken Konstruktivismus als zu Grunde liegende Epistemologie. Aber jedes Forschen sollte auf einen Zweck gerichtet sein, der rational gewählt ist. Wenn ich versuche eine Frage “Was soll ich tun?” so zu beantworten, dass ich keine Handlungsanweisung erhalte, bin ich nicht konsistent. Beantworte ich die Frage, ohne Rücksicht auf die erfragte Handlungsanweisung, bin ich Wissenschaftler. Gebe ich eine Handlungsanweisung oder wenigstens etwas Handlungsrelevantes, bin ich praktischer Philosoph (oder wie ich es nennen würde: Philosoph der Praxis).

      Das eine sind die Fingerübungen, mit welchen ich meinen Verstand schärfe. Aber die Lücke ist eben angewandte Philosophie. Ich will nicht sagen, dass Grundlagenforschung in der Philosophie nicht richtig ist.

  2. A

    Sehr gerne. Verstehe ich richtig, dass du in deiner Hausarbeit zu keinem Ergebnis gekommen bist? Ich bin enttäuscht, hatte ich doch schon gehofft, damit später mal argumentieren zu können (egal, in welche Richtung).”Intuition” halte ich in diesem Zusammenhang für ein erstaunliches Wort, wie ist deine Definition davon? Meine Intuition (gefühlsmäßige Einschätzung) würde mich in erstere Richtung leiten, ist aber reiner Empirismus. Wie geht Konstruktivismus und Rationalität zusammen? Wenn es nur subjektive Wahrheit und auch keine Rationalität im einzigen Sinne gibt (sondern diese immer zweckgerichtet ist), wie ist es dann möglich, für jeden gültige Handlungsanweisungen oder auch nur Handlungsrelevantes für ein gutes Leben zu geben? Wäre jedermanns gutes Leben dann nicht auch abhängig vom jeweiligen Zweck, den jeder selbst festlegt? Wie ist es dann möglich, Notwendigkeiten festzulegen? Außerdem: Nimmst du so ein Ergebnis nicht schon voraus? Und (sollte vllt. vorausgeschickt werden) welchen Konstruktivismus vertrittst du genau? Wenn die Fingerübungen, mit denen du deinen Verstand schärfst, der Grundlagenforschung der Phliosophie zugehörig sind, sind sie sicher sinnvoll.

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    • donnerundpflicht

      Was meinst du mit eine Ergebnis? Etwas, was sich in so einem Satz “Für X gilt Y.”? Das kann auch nicht, ohne in internen Widerspruch zu geraten. Schließlich müsste ich dazu Axiome festlegen. Also behaupten, dass etwas so und so ist. Das ist unphilosophisch. Als Philosoph kann ich nur Bedingungen für Antwortmöglichkeiten nennen. Ich kann nur sagen: “Wenn du A sagen willst, musst du konsequenter Weise B behaupten.” Dass 1+1=2, ist auch eine Intuition. Intuition ist nicht notwendiger Weise gefühlsgeleitet, obwohl man dabei meist ein gewisses Gefühl empfindet. Dies ist auch eigentlich das übergeordnete Ziel meiner Arbeit gewesen. Viele (nicht nur Philosophen) haben ohne darüber nachzudenken extrem viele Annahmen hinter einem “Das ist doch klar.” stehen, ohne sich darüber bewusst zu sein. Rationalität ist eine Einstellung und Grundhaltung des Denkens. Vernunftgeleitet könnte man sagen. Moralisch gestörte Menschen sind in dem Sinne nicht rational, als dass sie Notwendigkeiten nicht akzeptieren. Anders formuliert könnte man auch sagen, dass sie sich im inneren Widerspruch befinden, aber dies nicht einsehen. Genau dabei geht es auch bei diesem Projekt als Grundannahme. Weil ich nicht gerechtfertigt bin, Axiome als wahr anzusehen, kann ich keine universellen Handlungsanweisungen geben. Axiome sind unbewiesene Annahmen. Ihre Wahrheit zu behaupten ist ihrer Natur nach nicht gerechtfertigt, denn gerechtfertigte Axiome sind keine Axiome, sondern Aussagen, die auf der rechtfertigenden Aussage beruhen, welche dann ihrerseits Axiome sind. Hier spiegelt sich dann das Problem des infiniten Regresses wieder. So etwas wie subjektive Wahrheit ist auch ein Widerspruch in sich. Wahrheit ist dem Begriff nach eine absolute Eigenschaft und nicht personenrelativ. Daher benutze ich auch den Begriff der Wahrheit nur für Notwendigkeiten. Es ist wahr, dass 1+1=2. Aber nicht weil es so ist, sondern weil es so festgelegt ist, dass dies innerhalb der Mathematik wahr sein soll. Wahrheit und Falschheit ist in der Logik auch erstmal eine willkürliche Zuordnung. Für bestimmte Sätze gilt dann aufgrund der Eigenschaft der Operatoren, dass sie unter folgenden Bedingungen wahr sein sollen. Deswegen gibt es auch nicht die Logik. Logik ist ebenso ein Instrument, welches sich eben bewährt oder nicht. Mein Konstruktivismus der erstmal als Grundhaltung entsteht, weil ich die operative Geschlossenheit meines Gehirns annehme. Die Wahrnehmung und die ganze Arbeit des Gehirns ist ein konstruktiver Prozess. Das führt nicht notwendiger Weise in ein “anything goes”. Es heißt nur, dass Wahrheit nicht wichtig ist, weil man ihr Gegenüber sowieso agnostisch gegenübertreten sollte. Wahrheit ist sowieso nicht zugänglich. >Klick< Wichtig sind Dinge wie Nutzen, Rationalität und usw. Begriffe, die mehr mit der Art zu Erkennen zu tun haben, als mit der Beschaffenheit des (vermeintlich) erkannten.

  3. A

    Mit Ergebnis meine ich, dass der letztgültige Schluss schon vorliegt, denn wenn man zweckgerichtet argumentiert, muss notwendigerweise das (eigene) Ergebnis vorliegend sein. Dass hinter dem “Ist doch klar” eine Menge Ausnahmen steht, ist nicht unüblich (siehe Wissenschaftspluralismus). Deine Definition von Rationalität ist eine andere, als die Vorherrschende. Nach dieser (nicht deiner) geht es nicht nur um Vernunft, sondern auch um Zweckverfolgung. Was als “vernünftig” betrachtet wird, kann hiernach unterschiedlich sein, abhängig vom Interesse “subjektive” Wahrheit) Das Problem des infiniten Regresses habe ich immer, wenn ich über formale Logik nachdenke. Dies ist der Grund, aus welchem ich mich bisher nicht näher damit beschäftigt habe. Mit einigen Zwischenschritten: Ich finde darin keine Lösungen, sondern nur mögliche Erklärungen, warum etwas so ist, wie es ist. Aus einer solchen Erklärung (Entstehungsgeschichte) ist keine Handlungsanleitung für die Zukunft abzuleiten. Ich stimme zu, dass Wahrheit dem Begriff nach absolut ist. Hier kommen wir zum Kern des Problems: Wie kann etwas wahr sein (1+1=2), wenn es doch nur eine willkürliche Festlegung ist? Übertragen: Wie kann eine Notwendigkeit wahr sein, wenn sie doch (nur) von dir (oder von anderen Menschen) festgelegt wurde? Wenn ich richtig verstehe, dann gehst du selbst auch davon nicht aus. Verstehe ich richtig, dass du es als unwichtig betrachtest, zu welchem Ergebnis man kommt (s.o), wenn nur der Weg dahin schlüssig ist? Wie kann der Weg für alle schlüssig sein, wenn verschiedene Interessen verfolgt werden?

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    • donnerundpflicht

      Naja, die Art des Ergebnis ist ja noch entscheidend. Meine Ergebnisse als Philosoph liegen als Konditional vor. Wenn X, dann Y. Alles andere kann niemand wirklich gerechtfertigt sagen. Nichtgerechtfertigte Aussagen zu tätigen ist die (wichtige und wertvolle) Aufgabe von Politikern, Freunden usw. Ein Philosoph gibt dir nur Mittel an die Hand, die Zwecke musst du schon selbst liefern.

      Zweckrationalität ist nicht Rationalität. Rational zu sein heißt dem Begriff nach nichts andere als vernünftig. Die Zweckgerichtetheit kommt da erst in zweiter Instanz rein. Ich rede nur von Rationalität also rationalitas. Das heißt Denkvermögen (Wikipedia). Ob sich das Denken dann auf Zwecke richtet, ist damit erstmal nicht gesagt. Entweder ist der Begriff Zweckrationalität überflüssig oder Rationalität ist nicht Zweckrationalität.

      Die Notwendigkeit folgt eben aus der Widerspruchsfreiheit. Widerspruchsfreiheit ist erstmal unproblematisch, obwohl auch das eine Konvention ist. Notwendigkeit ist aber auch nur Folge einer Vorschrift. Diese Festlegung ist aber nur mehr oder weniger willkürlich. Es bemisst sich an Pragmatik. Dass man als Architekt annimmt, dass 1+1=2, liegt daran, dass er ansonsten keine stehenden Gebäude konstruieren kann. Oder wenigstens ist diese Annahme hinreichend funktional. Vielleicht geht es auch mit völlig anderen Annahmen, die 1+1=2 entgegenstehen. Das macht nichts wahrer als anderes. Es macht es lediglich funktionaler. Für Wahrheit bräuchte man einen archimedischen Punkt. Den hat man aber nicht.

      Der Weg sollte gültig sein. Schlüssigkeit ist nicht erreichbar. Ist jetzt eine begriffliche Frage (Guck’ mal auf Wikipedia). Ich vermute, dass es schlussendlich darauf hinausläuft, dass so die Interessen nicht so verschieden sind. Egal, ob es jetzt um moralische Fragen oder um gesellschaftliche Fragen geht. Wir sind im Allgemeinen nichts besonderes, sondern wollen nur Schlaf, Nahrung, Sex und Selbstverwirklichung. Wahrscheinlich sogar in der Reihenfolge.

      Ich bin ja nicht nur Philosoph. Ich bin genauso auch Mensch, Freund, Gegner usw. In diesen Rollen habe ich schon bestimmte Voraussetzungen akzeptiert. Wenn ich jemandes Freund bin, dann bin ich an seinem Wohl interessiert. Wenn dieser jemand nicht an seinem Wohl interessiert ist, dann treten wir solange in Konflikt, bis einer aufgibt. Ich die Freundschaft oder er die Selbstzerstörung.

  4. A

    Ich habe jetzt einen Moment über deinen letzten Post nachgedacht und bin nicht sicher, ob ich dich richtig verstanden habe. Wie du weißt, studiere ich nicht Philosophie, beschäftige mich also nicht “hauptberuflich” mit diesen Themen. Auch tritt immer wieder das Problem der Definition auf, was die inhaltliche Diskussion verzögert. Ich denke, dass man einen Unterschied machen muss, zwischen natürlichen und sozialen Gegebenheiten. Ich halte es für unsinnig, unsere Existenz (oder zB die Existenz eines Baumes oder eines Stückes Metall) infrage zu stellen. Selbst wenn man davon ausgeht, nicht zu wissen, ob diese Dinge wirklich existieren, sehe ich keine daraus folgende Konsequenz, die irgendwie nützlich ist oder irgendwas verändert. Dass demgegenüber die soziale Wirklichkeit konstruiert ist, erstaunt (denke ich) niemanden. Innerhalb dieser ist alles von Konventionen abhängig. Mit deinem letzten Artikel zeigst du nochmal, was du meinst, wenn du davon sprichst, Notwendigkeiten aufzudecken, oder? Ich denke, dass die Tatsache, dass Alkoholgenuß eine schwere Vergiftung des Körpers darstellt, mittlerweile so gut wie allen bekannt ist. Mich würde hier mehr interessieren, warum die Menschen, wenn sie dieses doch wissen, trotzdem nicht danach handeln? Ich schließe mich im Übrigen der Vermutung an, dass die Menschen nicht so verschieden sind und der Einzelne auch nicht besonders.

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    • donnerundpflicht

      Ich bin deiner Meinung und genialer Weise hast du auch gleich schon die Begrifflichkeit übernommen, die mir genehme ist. Du schreibst, dass aus Zweifel an der unmittelbar gegenständlichen Umwelt kein Nutzen erwächst. Genau dahin verschiebt sich dann ein Großteil der Erkenntnistheorie für mich. Es geht weniger um Wahrheit als vielmehr um Nützlichkeit. Die Frage, ob es jetzt wahr ist, ob da ein Baum steht, oder nicht, die ist völlig unerheblich. Wahrheit ist einfach nicht wichtig. Sie ist eben auch nicht direkt zugänglich. Die Rechtfertigung für die Behauptung “Da ist ein Baum.” gerät zu einem reinen Pragmatismus, was auch gut ist. Nur sollte man dann auch nicht von irgendeiner objektiven Realität reden. “Das ist doch so!” ist so ein Ausruf, der die mangelnde Reflektiertheit einem geradezu ins Gesicht schmettert. (Was auch der Grund ist, weshalb ich bei solchen Aussagen oft versuche gemein zu werden)

      Warum Menschen Alkohol trinken, ist eine schwere Frage. Psychologisch kann man diese natürlich beantworten, aber eine moralische Antwort fällt mir da schwerer. Ich glaube auf der einen Seite, ist Menschen gar nicht klar, dass die Trunkenheit selbst schon Symptom der Vergiftung ist, während sie auf der anderen Seite ständig positiv auf Alkohol konditioniert werden. Alkohol ist mit Gemeinschaft, mit Sex (Betrunkene sind leichter rumzukriegen), mit Ausgelassenheit und diesen Dingen konnotiert. Menschen, die Alkoholiker in der Familie haben, denken anders darüber. Sie sind vielleicht nicht enthaltsam, aber sie haben nicht dieses grundsätzlich positive Bild vom Alkohol. Denn Abhängigkeit wird zuallererst der Person und ggf. dem sozialen Umfeld zugerechnet. Niemals aber dem Alkohol selbst.

  5. A

    Dein Satz “Wahrheit ist einfach nicht wichtig” trifft es genau, denke ich. Wenn in meinen Posts irgendwann der Eindruck aufgekommen sein sollte, dass ich objektive Wahrheit als vorliegend betrachte, so war dies nicht meine Absicht. Auch ein gemeinsamer Freund von uns wird dies nicht behauptet haben, denke ich. So wie du dich über derartige Ausrufe ärgerst, so ärgere ich mich über Kritik, die ohne vernünftige Begründung geschieht, welche diese Kritik untermauert. Etwas nur deshalb zu kritisieren, weil es ja evtl. auch anders sein könnte, macht keinen Sinn (ohne dir das unterstellen zu wollen).

    Die Frage, warum vernunftbegabte Menschen entgegen ihrer Vernunft und entgegen ihrer Erkenntnis handeln, beschäftigt mich schon länger. Möglicherweise führt eine solche Verallgemeinerung der Frage aber auch nicht zu richtigen Ergebnissen. Es ist vllt. nötig, die jeweiligen Fälle einzeln zu betrachten (wie zB das Alkoholproblem). In diesem Fall hast du sicher recht mit der positiven Konditionierung. Aber haben viele wirklich ein komplett positives Bild vom Alkohol? Angesichts der massiven Aufklärung, die in diese Richtung vorgenommen wurde und wird, kann ich mir kaum vorstellen, dass noch jemand ernsthaft davon ausgeht, Alkohol könne ihm nicht schaden. Sie beruhigen sich höchstens damit, dass Freunde, Nachbarn etc. dasselbe tun und Alkohol ja schließlich nicht verboten ist. Ich denke auch, dass Abhängigkeit zuerst der Person zugerechnet wird. Die Person war dann eben zu schwach. Die Gründe für die Abhängigkeit werden ausschließlich in der Persönlichkeit des Einzelnen gesucht, nicht in den gesellschaftlichen Umständen. Dies könnte ein Fehler sein.

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