Auszug aus dem Buch “Fleisch und Kabel”: Nudge und blaue Pillen

Er überlegte, warum Menschen so einen Drang dazu verspürten, sich in diesen Dämmerschlaf aus Fastfood, Betäubungsmitteln und virtueller Realität zu begeben. Warum wollten die Menschen nicht aufwachen und, waren sie zufälligerweise wach, nicht wach bleiben?

Was ist es, dass uns unsere Sinne geben können, sodass wir bereit sind unsere Seele sterben zu lassen? Die Frage kam ihm so bizarr vor, dass er sich fragte, ob diese Frage überhaupt Sinn ergeben konnte. Er spürte einen Koten in seinem Kopf. Die einzig mögliche Antwort konnte nur lauten: Nichts! Doch die Realität strafte seine Wirklichkeit lügen.

Ein lautet Hupen riss ihn aus seinen Gedanken. Unachtsam war er auf die Straße gelaufen. Und sprang zurück. Es war ein unnötiger Reflex, den kaum einer Abstellen konnte. Das automatische Steuersystem hatte wahrscheinlich sein Gesicht schon hunderte Meter zuvor gescannt und festgestellt, dass er in Gedanken war und die Geschwindigkeit so reduziert, dass es rechtzeitig bremsen konnte, aber schnell genug geblieben, um ihn einem erzieherischen Schrecken zu unterziehen. Ein Prinzip, dass sich auf Thaler und Sunstein zurückzuführen war. Ein Nudge war ein erzieherisches Mittel, ohne von Ge- oder Verboten Gebrauch machen zu müssen. Erziehung durch tausend Schubser. Das Lingchi-Protokoll für die Mündigung des Bürgers.

Er hob beschwichtigend die Hand, weil er wusste, dass der Bordcomputer dies als Indiz für erfolgreiche Erziehung an die zentrale Bürgerrechenanlage seines WeChat-Datei bewerten würde.

Aus irgendeinem Grund fiel ihm eine Werbung für einen Stimmungsaufheller auf. Es war der neuste Schrei alte Szenen aus Filmen neu zu editieren. “Schluck die blaue Kapsel.”, sagte Morpheus. “Rote Kapseln tun dir nur weh.” Es tobte gerade ein intensiver Kampf um Marktanteile und die Werbung war entsprechend aggressiv. Welcher Film war das nochmal? Seltsam. Ihm fiel es nicht mehr ein. Und noch seltsamer: Warum ärgerte ihn das?

Männer und Frauen sind genau gleich promiskuitiv

Es gibt das seltsame Gerücht, dass Frauen und Männer sich in ihrem promiskuitiven Verhalten unterscheiden. Es gibt das Gerücht, dass Männer durchschnittlich mehr Sexpartner in ihrem Leben hatten als Frauen.

Doch das ist unmöglich, wenn wir davon ausgehen, dass wir geschlossene Märkte für Hetero- und Homosexuelle haben.

Ein heterosexueller Mann kann den Schnitt seines Geschlechts nur erhöhen, wenn er Sex mit einer Frau hat, also auch den Schnitt der Frauen erhöht. Heterosexuelle Männer und Frauen haben garantiert genau gleich viele Sexualpartner. Auch Gruppensex ändert nichts daran. Selbst, wenn er gleichzeitig mit 10 Frauen Sex hat, erhöht er die Zahl der männlichen Sexualpartner um 10 und die Frauen die Zahl ihrer Sexualpartner auch um 10.

Man muss sich das nur als Fußballspiel vorstellen, bei dem man ein Tor nur schießen kann, wenn man dem Gegner erlaubt, bei sich selbst ein Tor zu schießen. Das Spiel geht immer unentschieden aus.

Vergangenheit schiebt Zukunft zieht

Die Vergangenheit schiebt und jagt. Das Vergangene ist damit ein Aspekt der Fremdbestimmung, der Nötigung und der Unfreiheit. Doch gleichzeitig bietet sie Sicherheit und Gewissheit.

Doch die Zukunft zieht nicht. Sie bietet vielmehr Halt, sodass wir uns selbst ziehen können. Das Zukünftige ist damit ein Aspekt der Selbstbestimmung, Souveränität und Freiheit. Doch gleichzeitig gibt es uns Unsicherheit und das Unbekannte.

Gehen wir zu schnell in die Zukunft verlieren wir den Boden unter den Füßen. Das Chaos hat uns im Griff. Doch greifen wir nicht aktiv nach einer der unendlichen Zukünfte, werden wir zerdrückt und komprimiert, die Vergangenheit verwandelt sich in Tyrannei, die all unsere Beweglichkeit einfriert.

Der gute Umgang mit Zeit ist immer aktiv und wohldosiert. Der schlechte Umgang mit Zeit ist passiv und übermütig oder ängstlich.

Feminismus löst auch weibliche Privilegien auf

Traditionelle Geschlechterrollen lösen auf spezifisch weibliche Privilegien auf. Ein beträchtlicher Teil von dem, was Feministen als das Patriarchat bezeichnen, dient dem Schutz der Frau. So auch die kulturelle Annahme, dass Frauen einen besonderen Schutz verdienen. So wie Männer blinde Flecken in der Wahrnehmung der weiblichen Lebenswelt haben, haben auch Frauen blinde Flecken für die männertypische Lebenswelt. Der besondere Schutz der Frau ist ein kulturelles Gut, das durch den Verlust traditioneller Geschlechterrollen bedroht ist.

Für diese Überlegungen sind moralische Gebote nicht entscheidend. Der Einwand, dass Gewalt prinzipiell abzulehnen ist, ist kein Einwand. Wir haben es hier mit soziologischen Untersuchungen zu tun, die beschreiben, wie es ist, nicht moralischen Untersuchungen, wie es sein soll!

Fall von feministisch-ideologischer Verblendung: Illouz und Shades of Grey

> Shades of Grey ist schlechte Literatur. Und doch kreuzt der Roman “die Unterscheidung zwischen Fiktion und Wahrheit”, weil er uns vor Augen führt, wie es heute um unser Sexual- und Liebesleben bestellt ist.[illouz2013]

So lautet das überraschende Ende der kurzen Analyse von Illouz Die neue Liebesordnung. Frauen, Männer und Shades of Grey. Warum ist das Ende überraschend? Über 80 Seiten argumentiert die Autorin für die Wirksamkeit des Romans. Selbst direkt im Nachsatz nach diesem unsinnigen Urteil schreibt sie, dass der Roman eben das macht, was gute Romane machen: Sie geben uns einen Spiegel, der uns etwas zeigt, was noch realer als die Realität ist.

Actionheldin als Symbol scheiternder Emanzipation

Die weibliche Actionheldin ist ein Sinnbild der Emanzipation und der Versuch die Frage der Frau zu beantworten, wie sie ihre Weiblichkeit bewahren kann, während sie gleichzeitig die Eigenschaften des typisch männlichen Helden absorbiert.1

Selbstwirksamkeit und Macht sind dabei entscheidende Aspekte. Diese werden durch männliche Attribute wie Kampfkraft und Abenteuerlust symbolisiert.

Klassische Varianten sind:

  • Die Geheimagentin
  • Die Superheldin (Wonderwoman)

In den Geschichten bewahrt sich die Frau ihre Weiblichkeit, weshalb sie immer auch feminin sind.

Das Problem dieses Tropus ist, dass hier die maskuline Weise für Selbstwirksamkeit und Macht zusammen mit femininen Eigenschaften in einem Charakter vereinigt werden. Es sind Eigenschaften, die in der Realität gegeneinander laufen.

Einer der größten statistischen Unterschiede ist im Temperamentaspekt Verträglichkeit. Eine hohe Verträglichkeit ist nützlich für warme und kümmernde Fürsorge. Hier könnte sich die Eigenschaft eine enge, mitfühlende Verbindung zu ihren Kindern und auch Mitmenschen einzunehmen. Eine niedrige Verträglichkeit ist dagegen nützlich für Wettkampforientierung und Konkurrenz. Liebevoll und mitfühlend zu sein, eine der zentralen Aspekte von Feminität, basiert gerade auf einem Mangel von Wettkampforientierung. Das heißt natürlich nicht, dass einem nicht beide Aspekte zur Verfügung stehen. Aber der natürliche Modus mit anderen Menschen zu interagieren ist eben entweder der eine oder der andere.

Gerade der Actionheld sollte sich durch eine geringe Verträglichkeit, besonders im Sinne einer geringeren Höflichkeit, auszeichnen. Schließlich tötet er in vielen Filmen gedankenlos viele Menschen.

Andere Eigenschaften sind nicht realistisch. Frauen haben nicht nur eine erheblich geringere Körperkraft als Männer, sondern tendieren auch vom Wesen her zu anderen Mitteln der Machtausübung (zum Beispiel Rufmord). Jemandem eine auf’s Maul zu hauen ist biologisch gesehen nicht weiblich, sondern männlich.

Der weibliche Actionheld ist keine Actionheldin. Es ist ein Actionheld, der in einen weiblichen Körper verfrachtet wurde. In ihm steckt ein klein wenig Frauenverachtung, weil die eigentliche Kompetenz des weiblichen Actionhelden männlich ist. In ihm steckt ebenfalls Oberflächlichkeit, denn Feminität wird durch körperliche Attraktivität symbolisiert. Die Seele ist männlich und nur der Körper weiblich.


  1. Eva Illouz (2013): Die neue Liebesordnung. Frauen, Männer und Shades of Grey, Sinzheim: Suhrkamp. 

Die letzte buddhistische Frage

Ich tauche unter, unter die Wasseroberfläche. Ich tauche in eine andere Welt. Sie ist nicht so grell, sondern gedämpft. Tauche ich tief genug, brauche ich meine Augen nicht mehr. Es tut mir weh, alles sehen zu können. Es ist nicht nur Schmerz, es ist Leiden, dass ich nicht scheiden kann. Tauche ich tief genug, brauche ich meine Ohren nicht mehr. Es tut mir weh, alles hören zu müssen. Es ist zu viel Geschrei in der Welt. Auch dieses Leiden will ich nicht mehr ertragen.

Ich hörte, jeder Mensch hat ein Licht in sich. Und die Welt braucht das Licht eines jeden Menschen, sonst ist sie ein düsterer Ort. In Düsternis tauchen schlimme Dinge so plötzlich auf wie ein Raubtier, dass in der Dämmerung zum Sprung ansetzt. Im Dunkeln wird jedes Geräusch zu Geschrei. Ich habe geglaubt und wollte mein Licht in die Welt bringen. In tiefem Glauben habe ich meine Brust geöffnet und mein kleines Licht scheinen lassen. Ich konnte sehen, dass Menschen klein und dunkel in der Ecke hockten. Ich lief zu einem von ihnen und habe sie geschüttelt: “Wach auf! Wir brauchen dein Licht! Bitte wach auf! Hier: Ich gebe dir mein Licht.” Und manch einer hat aufgeschaut und mein kleines Licht angesehen, als wäre es eine Kerze. Und so manches Auge leuchtete ein klein wenig mehr. So wuchs meine Hoffnung. Doch so schnell sie wuchs, so schnell verdorrte sie wieder. Niemand wollte leuchten und es war ihnen genug, wenn ihre Augen ein klein wenig funkeln konnten im Widerschein meines Lichts.

Ich habe mein Licht auf die Welt gebracht und das einzige, das es mir gebracht hat, war die traurige Erkenntnis, dass die Welt nicht an Licht mangelt. Es mangelt ihr an Wahrheit, Mut und Vertrauen. Und so habe ich meine Brust wieder verschlossen. Ich wollte nicht mehr sehen und nicht mehr hören. Doch mein inneres Auge war geöffnet und meine inneren Ohren gespitzt.

Da bin ich zum See gegangen. Langsam und nachdenklich war ich. Warum sollte ich laufen? Wen kümmerte mein Leid? Es gab ja niemanden, der sich um mehr kümmerte als darum, alleine zu leiden. Sogar mir war es beinahe egal. Als ich am Ufer angekommen bin, ging ich weiter auf den Steg. Sein Holz war nass und kalt vom Regen. Ich drehte mich mit dem Rücken zur Kante des Stegs und blickte noch ein letztes Mal zurück. Ich sah noch ein letztes Mal die kauernden Menschen. Sie fühlten sich alleine, weil sie ohne ihr Licht nicht sehen konnten, dass sie ganz nah beinander waren. In einigen konnte ich Sehnsucht sehen. Einige hatten das Licht gesehen, dass jeder von uns hat, doch fehlte ihnen der Mut und das Vertrauen ihr eigenes Licht zum Leuchten zu bringen. Und viele Wangen waren nicht nur feucht vom Regen, sondern auch nass von Tränen.

Ich sah die Menschen noch einmal an und dann ließ ich mich fallen. Das Wasser schlug über mir zusammen. Es wurde dunkler und ruhiger. Ich sank auf den Grund des Sees und konnte weder sehen noch hören. Es gab nur noch mein Märchen. Ich öffnete mein inneres Auge und blickte die kleine Kerze in meiner Brust an. Und ich seufzte. Was war mein kleines Glück wert? Wenn Leiden nicht kümmert, ist Glück auch nicht wichtig. Ich wusste: Ich konnte an meinem kleinen Licht glücklich sein. Ich konnte bis ans Ende aller Tage an diesem ruhigen, ruhigen Ort liegen und mich an meinem kleinen, bescheidenen Glück erfreuen. Ich konnte mit Güte an die Menschen denken, die mit feuchten, nassen Wangen in der Dunkelheit der Welt kauerten. Ich liege hier auf dem stillen Grund des Sees, kein Gedanke taucht durch mein Wasser. Ich bin da und nichts weiter.

Was sollte ich tun, frage ich mich? Ich bin glücklich, so glücklich, dass es mich traurig macht. Ich muss lächeln, weil nun auch meine Wangen von Tränen genässt werden. Meine Güte und Mitleid überwältigt mich. Ich sehe und höre nichts, doch ich fühle, dass es da noch Menschen gibt, die mit nassen Wangen im dunklen Zwielicht kauern. Mein trauriges Glück lässt mich lächeln, denn auch das Gefühl wird allmählich leiser und verschwindet in die Ewigkeit. Und mit jeder Sekunde, die ich warte, wird es schwerer aufzutauchen.