Lohnt sich eine Affäre?

In diesem Beitrag schildert eine Dame ein paar Momente und Eindrücke ihrer Affaire. Sie ist die Geliebte und er ist ein Ehemann.

Wir können hier sehr eindrückliche Beispiele einer Egozentrik beobachten, welche sich als Egoismus äußert.

Fremde Intimität verhindert eigene Intimität

Sie ist die Geliebte. Das heißt, dass sie in das Eheversprechen zweier anderer Menschen eindringt. Wenn der Ehemann mit seiner Geliebten ein Verhältnis aufbaut, in welchem sie sich über persönliche Angelegenheiten austauschen, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie auch über seine Ehe sprechen. Sie gehört schließlich zum Leben von 50% der Beteiligten der Affäre.

Da sie es mit einem Mann zu tun hat, der sein Wort gegenüber seiner Frau nicht einhält, ist Charakterschwäche wahrscheinlicher. Wenn er Probleme hat, wird er sie mit einer größeren Wahrscheinlichkeit auf sie abladen.

So erzählt er ihr von den Problemen innerhalb seiner Ehe. Genauer: Den Problemen der Kinderzeugung.

Und es ist mehr als merkwürdig, dass er das bei mir loswerden möchte. Denn er sitzt in meiner Küche, um die Nacht mit mir zu verbringen.

So merkwürdig scheint das vor dem von mir geschilderten Hintergrund nicht. Er verwendet sie als Kummerkasten.

ER:„Ich weiß gar nicht, ob ich das will. Wir lassen es gerade drauf ankommen.“

Er zeigt Unentschlossenheit und lädt die Probleme seiner Ehe in deren Affaire. Ihre Reaktion ist natürlicherweise ungehalten:

„Sag mal hast du sie noch alle?“

Doch er sieht seinen Vorteil und begründet sein Verhalten damit. “Es tut mir doch gut.” Wir sehen hier einfachen Egoismus.

ER: „Ja, ich weiß, dass ich das gerade dir erzähle. Aber wir kennen uns schon so lange. Du verstehst mich. Mit dir kann ich über alles reden.“

Sie lässt sich darauf ein, stellt fest, dass der Mann mit dem sie eine Affaire hat, charakterschwach ist:

„Darum geht’s überhaupt nicht.“ Ich bin lauter als ich will. „Du kannst doch nicht einfach mal so dein Sperma verteilen und dann gucken, ob’s klappt oder nicht. Ein Kind ist doch kein Spielzeug. Das ist eine lebenslange Verantwortung. Und wenn du deine Frau laufend betrügst – warum willst du ein Kind mit ihr?“ Ich komme mir vor, als spreche ich mit einem 18-Jährigen und nicht mit einem 40-Jährigen. Moralapostel zu spielen, ist nicht mein Ding, aber so viel Gedankenlosigkeit macht mich wütend.

Sie ist wirklich wütend und teilt ihm das körpersprachlich mit.

Ich drehe mich wieder um und knete weiter, schüttle den Kopf jetzt deutlich sichtbar.

Seine Reaktion: Bindung suchen:

Er steht auf, stellt sich hinter mich und massiert mir den Nacken.

Und es wirkt. Sie lässt sich leicht ablenken:

Das beruhigt und entspannt.

Wir sehen hier die Probleme Intimität in einer Affäre zu entwickeln. Vor allem, wenn beide vor allem ihren eigenen Vorteil in dem Verhältnis suchen.

Was ist Intimität? Intimität ist der Ausschluss dritter aus dem aktuell hergestellten Beziehungsverhältnis. Das macht eine Affäre auch psychisch so belastend.

Entweder man schließt aktiv und dauernd die jeweiligen Betrogenen aus dem Verhältnis aus oder delegiert diesen Ausschluss an das Unbewusstsein, wo wir wiederum mit dem ganz eigenen Problem der psychischen Abwehrmechanismen umgehen müssen.

Eine Affäre bedeutet eine Gefahr für die Fähigkeit wirkliche Intimität zu entwickeln. In mehreren Welten parallel zu existieren gefährdet die Authentizität. Man muss seine Stimmung schnell ändern und schnell zwischen verschiedenen sozialen Regeln wechseln. Man denke daran mit dem Partner zu telefonieren, während man bei der Affäre ist.

Dieses emotionale Multitasking führt zur einer Rationalisierung der Emotionen.

Willensstärke ist endlich

Einerseits schreibt sie, dass sie sich nicht auf ihn einlassen wollte.

Vor dem ersten Mal als Verheirateter buhlte er mehr als zwei Jahre. Wir hatten längst wieder Kontakt, zumindest sporadisch. Als er mitbekam, dass ich mich getrennt hatte, fragte er, ob wir uns sehen und an die alten Zeiten anknüpfen könnten. Das sei doch immer so gut gewesen. „Bist du nicht mehr verheiratet?“ „Doch, aber das macht doch nichts.“ „Dir oder ihr?“ Die Antwort blieb er schuldig. Wir trafen uns, sobald er in meiner Stadt war. Aber ich kam nie mit in sein Hotel und lud ihn nie zu mir nach Hause ein. Wenn er zum Kuss ansetze, drehte ich meinen Kopf weg. Meine Körbe waren eindeutig.

Waren ihre Körbe wirklich so eindeutig? Zwar hat sie sich nicht auf sehr direkte Weise eingelassen, doch sie hat sich immer wieder in eine Situation begeben, in welcher beide um seine Absichten und Pläne wussten.

Sie befindet sich hier in einem Widerspruch und den wird sie lösen. Nicht auf rationale Weise, sondern auf rationalisierende Weise.

Er ließ nicht locker. Das schmeichelte mir, aber es entsetzte mich auch. Ich ließ es ihm nur durchgehen, weil wir uns schon so lange kennen – und weil es gut tut, dass sich jemand interessiert, auch wenn mir stets klar war, dass es ihm vorrangig um Sex geht.

Das markierte sticht heraus. Beide suchen danach eine Lücke in ihrem Leben zu füllen. Affären sind meistens Produkt sich überschneidenden Egoismus. Deswegen führen Affären nur in den seltensten Fällen zu einem positiven Ende für beide Beteiligten. (Ganz zu schweigen von dem oder der Betrogenen)

Diese Form des Abwehrmechanismus nennt Freud Rationalisierung.

Mir lag zu viel an ihm, um den Kontakt abzubrechen. Undenkbar war und ist es für mich, mit ihm eine Affäre anzufangen – oder gar mehr. Dass er seine Frau verlässt, steht überhaupt nicht zur Debatte.

Und so ist es nicht verwunderlich, dass das Verdrängte bald wieder die Oberfläche durchbricht:

Trotzdem warf ich irgendwann meine Bedenken über den Haufen.

Um diese Handlung zu rechtfertigen, gibt sie die Verantwortung ab, um sich nicht schuldig zu fühlen. Entweder übernimmt sie Verantwortung oder sie hat ein reines Gewissen. Verantwortung ist Schuld und wenn wir sie abgeben, verlässt uns auch das Schuldgefühl.

Ein schlechtes Gewissen seiner Frau gegenüber hatte ich nie. Ich bin nicht die einzige, was es nicht besser macht, aber ich trage nicht die Verantwortung für ihn und seine Entscheidung.

So löscht sie die Verantwortung für ihr Handeln aus. Für sein Handeln kann sie selbstverständlich nicht verantwortlich sein, doch für ihr Eigenes? Sie ist notwendig verantwortlich für ihr eigenes Handeln und sie nimmt in Kauf eine Frau zu sein, die betrügt. Sie nimmt ihre eigenen Bedürfnisse als Geliebte auf Kosten der Bedürfnisse der Ehefrau wahr. Damit entscheidet sie sich für eigenes Wohl und fremdes Leiden.

Die Situation bringt sie weiter in Widersprüche:

„Ich fände es schön, wenn du bleibst“, sagte er. Ich guckte ihn ungläubig an. „Du willst morgen neben mir aufwachen?“ „Ja, und ich würde gern, dass wir das jetzt ein Mal im Jahr machen.“ Mein ungläubiger Blick veränderte sich nicht. Ich schüttelte den Kopf. „Für die Einmal-im-Jahr-Gliebtenrolle eigne ich mich nicht.“ Aber ich blieb.

Tja, und jetzt hockt er das erste Mal in meiner Küche. Irgendwie fehl am Platz und gleichzeitig genau richtig.

Sie löst diese Widersprüche, indem sie den Fokus auf ihre eigenen Bedürfnisse lenkt:

Eigentlich müsste ich ihn auf dem Sofa übernachten lassen. Gleichzeitig tut es so gut, dass mich jemand in den Arm nimmt, mir den Nacken krault, fragt und zuhört, erzählt und lacht, in alten Zeiten schwelgt und einfach da ist.

Hier finden wir wieder, was ihre Lage noch einmal abbildet. Sie bringt sich in eine Situation, das eintritt, dass sie anfänglich als ungünstig bewertet. Das bringt sie in einen Widerspruch, den sie durch Egoismus und Fokussierung auf ihre eigenen Bedürfnisse löst. Sie blendet die eine Seite des Widerspruchs einfach aus:

Aus dem Kuscheln wird Küssen, daraus ein leidenschaftlicher Kuss. Und die Idee mit dem Sofa kommt mir plötzlich dämlich vor.

So gerne kann sie ihn eigentlich nicht haben:

Am nächsten Morgen lasse ich ihn in meinem Bett zurück, fahre zur Arbeit. Sein Gewissen ist mir immer noch egal.

Eigentlich ist er ihr egal. Es bietet ihr das Angenehme, dass sie sucht, während er nur Träger ist. Er ist Mittel zum Zweck.

Wir können hier zwei Dinge sehen:

  1. Wir bezahlen den Preis, auf die eine oder andere Weise. Wer in die Intimität eines anderen Paares eindringt, trägt auch immer ernsthafte Konsequenzen für die eigene Psyche und auch das Glück anderer Menschen.
  2. Widersprüche können zwischen langfristigen und kurzfristigen Zielen bestehen. Rationalisierungen können diese Widersprüche auf Kosten der psychischen Gesundheit und der moralischen Integrität lösen.

Wir erleben hier einen Konflikt zwischen dem Wunsch jemand zu sein und der tatsächlichen Beschaffenheit des Selbst. Letzteres setzt sich immer durch. Hier: Ein egoistisches Selbst. Nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus Einsamkeit und Schwäche.

Das Lästerparadox

Dies ist einer der ganz berühmten Sätze deutscher Sprache:

Erzähl es nicht weiter. Du darfst das eigentlich gar nicht wissen.

Nahezu jeder Mensch erlebt es, dass jemand einem etwas anvertraut, was er dieser nicht weitersagen sollte. Er oder sie erzählt etwas weiter, zu dessen Geheimhaltung er sich ursprünglich verpflichtet hat.

Was ist das Ziel einer solchen Handlung? Der Mensch, der gerade das Geheimnis weiterträgt, hat nur in den seltensten Fällen die primäre Motivation, das Vertrauen, das ihm geschenkt wurde, zu missbrauchen.

Es gibt verschiedene Motivationen und sie haben alle etwas mit dem Ränkespiel zu tun, das sich wie von alleine in Gruppen wie Teams einer Arbeitsstelle oder größeren Cliquen zu bilden scheint.

  1. Es geht um das Gefühl von Macht und Überlegenheit. Häufig wird, im gleichen Atemzug mit dem Geheimnis, selbst hart und oberflächlich über den Inhalt desselbigen geurteilt.
  2. Es geht um Vertrauen. Schließlich zieht der Lästerer einen weiteren Gegenüber ins Vertrauen.

Während es relativ unproblematisch ist, zu behaupten, dass es um das Gefühl von Macht und Überlegenheit geht, wenn man über jemanden lästert, ist der zweite Punkt oft nicht berücksichtigt.

Der Lästerer möchte ein Bündnis zwischen sich selbst und der Person, welcher er das Geheimnis verrät, knüpfen. Das Paradoxe ist nun, dass dieses Band durch das Vertrauen geknüpft werden soll, dass der Lästerer nun dem Anderen zu schenken scheint. Eben durch diese Handlung hat er jedoch bewiesen, dass er keine vertrauenswürdige Person ist. Indem er den anderen ins Vertrauen zieht, beweist er, dass er nicht vertrauenswürdig ist.

Genau in dieser Situation spiegelt sich ein klassischer Denkfehler von Menschen wider, welche sich wundern, dass sie es nicht schaffen gelingende Beziehungen oder Freundschaften zu führen.

Sobald dies in eine soziale Gruppe als regelmäßiges Verhalten aufgenommen wird, erodiert der Gruppenzusammenhalt. In anderen Situationen kann so ein Verhalten kompensiert werden. Durch einen äußeren Feind in Kriegssituationen. Man denke nur an die Situation, wenn ein Lehrer die Klasse tyrannisiert. Es gibt nichts, was so zusammenschweißt, wie ein gemeinsamer Feind.

Dieses Verhalten findet nun in einem völlig anderen Kontext statt. Es findet in einer Kultur statt, in welcher Gemeinschaft keine zentraler Wert mehr ist. Es ist bei vielen gemeinsam geteilte Meinung, dass man keinem mehr Vertrauen kann. Dass dieses Problem durch eben dieses Verhalten entsteht, wird ausgeblendet.

Das Neue ist ein weiteres Element unserer Kultur. Menschen sind chronisch überfordert und chronisch gelangweilt. Doch ein neues Geheimnis, neuer Tratsch, bringt ein bisschen Farbe in den Alltag. In einem erfüllten Leben ist kein Platz für Lästereien und Tratsch. Dann hat man genug andere Dinge zu tun.

Lästereien und Tratsch sind eine erhebliche Belastung für das soziale Leben, doch man kann sich nicht einfach vornehmen, nicht mehr daran teilzuhaben. Man kann dies versuchen, doch wenn man den Kontext nicht ändert, wird man immer anfällig für dieses Problem sein.

So begründet sich die einfache Alltagsbeobachtung, dass Menschen sich entweder mit der Moderne identifizieren, ständig nach Genuss durch Konsum suchen, lästern, Modetrends folgen und sich zwischen einem 9to5-Job und Freizeit zerreißen lassen, oder Aussteiger zu sein scheinen, wenn sie sich aus diesem Hamsterrad der Moderne befreien wollen.

Hier entsteht meine Ablehnung der modernen Kultur als Ganzes. Es ist nicht so, dass alle Aspekte der modernen Kultur schlecht sind. Doch sie sind so eng miteinander verknüpft, dass man diese Konditionierung in sich vollständig zerstören und sich wieder neu aufbauen muss, will man sich wirklich von den modernen Problemen lösen.

Das Selfie als gläsernes Gefängnis

Was ist der Akt des Selfies für ein seltsamer Prozess. Ich beobachtete eine korpulente, junge Frau dabei. Ein Bild für das Facebookprofil entsteht in einem Prozess, der 15-20min dauert. Ein Selfie scheint kein Schnappschuss zu sein, sondern ein gefrorener Lebensabschnitt.

Ich weiß nicht, ob dies Ereignis repräsentativ ist. Doch selbst die bloße Existenz dieses Ereignis, bringt mich zum erstaunen.

Es ist ein Akt einsamer Selbstdarstellung. Doch vor wem stellt sie sich in diesem Augenblick dar? Kann Einsamkeit in einer Selbstinszenierung einen Ort finden? Vielleicht ist dies ein Akt die Einsamkeit, ohne die Hilfe eines anderen Menschen zu bekämpfen? So werden die Kulturtechniken des Selfies noch tiefer in unser Leben eingebrannt. Eine Kultur der Einsamkeit, die versucht durch Einsamkeit dieselbige aufzulösen. Einsamkeit und Selbstdarstellung finden zur gleichen Zeit und am gleichen Ort statt und formen so eine der seltsamen modernen Paradoxien.

Es ist eine traurige Szene, die übrigens immer noch andauert, während ich diese Zeilen schreibe.

Vielleicht ist das Schreiben dem Selfie gar nicht zu unähnlich. Ich werde diese Zeilen sicherlich einige Male korrigieren. Ich sehe dieses Schreiben sogar als eine Reproduktion meines Selbst. Sind Texte in diesem Sinne nichts weiter als Selfies?

Warum habe ich eine so schlechte Meinung von Selfies? Ich glaube, meinem Gefühl vertrauen zu können, dass das schrieben mich zu einem besseren Menschen macht. Es ermöglicht mir einen Gedanken klarer zu fassen. Es ermöglicht mir ebenfalls diesen Gedanken zeitunabhängiger als das gesprochene Wort zu verbreiten – in der Hoffnung, andere Menschen zu anderen Gedanken und vielleicht sogar Texten zu bewegen. Vielleicht habe ich ja einen wertvollen Gedanken entdeckt, der mich und die Menschen verbessert?

All diese Dinge sehe ich beim Selfie nicht. Es ist das moderne Selbstporträt. Es zeigt aber nicht, wie wir uns selbst sehen. Es zeigt, wie wir gesehen werden wollen. Es zeigt einen Wunsch.

Das Selfie transportiert diesen aber nicht mit. Wir zeigen nicht den Prozess der Entstehung und öffnen uns auch nicht, in dem wir unseren Wunsch und vielleicht sogar unsere Gefühle dabei mitkommunizieren. So bleibt das Selfie als Versteck unseres wirklichen Selbst, mit seinen all seinen Schwächen und seiner Verletzlichkeit. In diesem Versteck ist auch die Möglichkeit, wirklich erkannt zu werden, verborgen.

Dieser Verhaltenskomplex scheint wie eine Schutzhülle, die ihren Bedarf selbst erzeugt. Wir werden nicht gezwungen, uns im Social Media zu exponieren. Doch das Gleiche gilt für so viel soziale Umfelder. Vielleicht ist dies das Einzigartige der Familie. Sie scheint das einzig Unausweichliche zu sein.

Das Selfie rückt damit in die gleiche Kategorie wie Schminke, Mode und ähnliche Formen der Selbstdarstellung. Wir suchen den Kontakt, scheuen aber die tatsächliche Berührung und schützen dabei unsere Unsicherheit. Unser Kontakt mit anderen Menschen wird dadurch ausgehöhlt. Das Bedürfnis bleibt in seiner Tiefe unbefriedigt.

Vielleicht steckt da das Fastfood-Prinzip dahinter. Es werden nur die oberflächlichen Kriterien für Genuss erfüllt, so dass wir uns da hingezogen fühlen. Doch ohne Tiefe, wie Vitamine und andere Mikronährstoffe, überfressen wir uns an Fett, Salz und Kohlenhydraten.

Genauso überfressen wir uns an Smalltalk, Aufmerksamkeit und FB-Likes. Doch tiefe Bindung, Zuneigung und Vertrauen fehlen. Obwohl wir dies genauso verstehen, wie wir auch verstehen, dass eine Pizza uns mit einem schalen und ungenährten Gefühl hinterlässt, stürzen wir uns in die nächste Party, melden uns bei Tinder an und spielen unsere Rolle im Schmierentheater, zu welchem unser Sozialleben heute geworden ist.

Verletzlichkeit als Voraussetzung von Stärke

Eine wichtige Grundhaltung von Donner und Pflicht ist die Liebe zur Kraft. Stärke und Macht sind zunächst einmal Fähigkeiten und geben uns die Freiheit etwas zu tun.

Etwas zu können, bedeutet die Möglichkeit von Handlungen zu erweitern und Stärke, sei sie innerlich oder äußerlich, gibt uns die Freiheit unser Leben zu aktiv gestalten.

Sogar banale Dinge wie die körperliche Kraft und Ausdauer können schon einen großen Unterschied machen. In unserer modernen Zeit ziehen wir häufig um und ein Umzugsunternehmen zu engagieren ist für viele zu teuer. Es ist die körperliche Stärke von uns und unseren Freunden, die entscheidet, wie sich der Umzug gestaltet.

Wir fühlen Sicherheit, wenn wir wissen, dass wir viele kräftige Menschen haben, sodass die physische Anstrengung nicht zur bedrohlichen Aufgabe wird.

Sind wir die körperlich Starken, können wir den anderen von Nutzen sein, ihnen helfen und etwas geben.

Mit innerer Stärke verhält es sich ebenso. Einerseits empfinden wir Sicherheit, wenn wir wissen, dass wir Menschen in unserer Nähe haben, die psychisch stabil sind. Wo sollen wir uns anlehnen, wenn wir keinen fest Halt sehen? Wie können wir uns fallen lassen, wenn wir nicht wissen, ob der Gegenüber noch genug Kraft übrig hat, damit wir ihm einen kleinen Teil unserer Last übergeben können, um durchzuatmen?

Andererseits fühlen wir uns als seelisch starke Menschen gut. Wir können für andere da sein und ihnen Halt geben. Wir verlassen uns auf unsere Energie und Unverwüstlichkeit. Wir wissen, dass sich andere Menschen an uns wenden können und erkennen unseren Wert für andere Menschen. Ist man stark, ist es leicht sich wertvoll zu fühlen.

Eingangs habe ich geschrieben, dass Donner und Pflicht Liebe zur Kraft bedeutet. Was sind die Gefahren beständiger Stärke?

Verletzlichkeit und Schwäche bedeuten Bindung. Erst darin machen wir uns dem Gegenüber ebenbürtig. Wenn wir jedoch immer davon ausgehen, dass wir stärker sind, dann installieren wir von ein Machtverhältnis.

Das ist nicht unbedingt etwas Negatives. Wenn wir beispielsweise mit Kindern umgehen, ist dieses Machtverhältnis sehr deutlich. Unsere Aufgabe bei der Erziehung von Kindern ist es, ihnen Raum zu geben ihre eigenen Stärken und Schwächen zu erkunden. Wir müssen, ihnen zu helfen ihre Stärken zu vergrößern und ihre Schwächen zu verringern.

Schlussendlich ist es unsere Aufgabe, dass Kinder lernen, sich selbst die Sicherheit zu geben, die wir ihnen als Fürsorge zu Verfügung stellen. So werden sie selbstständig.

Was ist jedoch, wenn wir einem Menschen von Gleich auf Gleich begegnen wollen? Eine solche Einbahnstraße von Fürsorge, Halt und Schutz installiert eben jenes Verhältnis von Macht, in welchem wir mit unseren Kindern stehen.

Lassen wir unsere eigene Verletzlichkeit nicht in die Beziehung zu einem anderen Menschen einfließen, können wir keine Partnerschaft mit diesem führen, egal ob intim oder platonisch.

Wir können nicht beides haben. Wir können nicht beständig in der starken Position verbleiben, Kraft und Energie nur in eine Richtung fließen lassen und gleichzeitig diesem Menschen von Gleich auf Gleich begegnen.

Verletzlichkeit und Schwäche sind wichtige Elementen einer partnerschaftlichen Beziehung, sei es Freundschaft oder Intimbeziehung.

Selbstvervollkommnung heißt, dass wir unsere Schwächen mildern und unsere Stärken ausprägen. Haben wir uns entschlossen Selbstvervollkommnung als Lebensweg zu wählen, werden wir feststellen, dass es schwieriger wird, Menschen zu finden, denen wir von Gleich auf Gleich begegnen können. Das heißt nicht, dass man den Gegenüber notwendig abwerten muss, gleichwohl dies auch eine Möglichkeit ist, mit dieser Herausforderung der Vervollkommnung umzugehen.

Wenn du dich entschließt dich selbst zu entfalten, die stärkste Version deiner Selbst zu werden, solltest du dir vor Augen halten, dass Menschen dir nur von Gleich auf Gleich begegnen können, wenn sie ähnlich weit auf ihrem Lebensweg gegangen sind wie du. Sie brauchen eine ähnliche Stärke wie du.

Sind sie es nicht, wird dir die Entscheidung auferlegt. Entweder entfernst du dich vom Weg der Selbstvervollkommnung oder du lebst in einem Machtgefälle, was verhindert, dass du diesem Menschen von Gleich auf Gleich begegnen kannst.

Wenn du jedoch einen Menschen triffst, dem du von Gleich auf Gleich begegnen kannst, heißt es noch lange nicht, dass dies von ganz alleine passiert. Wenn du niemals Verletzlichkeit zulässt, verschließt du dich vor diesem Menschen. Die Verbindung wird oberflächlich, weil du einen Teil von dir aus dieser Beziehung herausnimmst.

Du führst diese Beziehung so nicht von Gleich auf Gleich. Das liegt an verschiedenen Zusammenhängen.

  1. Wenn du davon ausgehst, dass der Gegenüber bereit ist dich zu verletzen, gehst du von seinem Mangel an moralischer Integrität aus.
  2. Wenn du davon ausgehst, dass er nicht genug Kraft hat, um sich mit deinen Problemen zu beschäftigen, du dies aber mit seinen tust, setzt einen Mangel an psychischer Stabilität voraus.

In beiden Fällen begegnest du deinem Gegenüber nicht auf Augenhöhe. An dieser Stelle ist ein Entscheidungszwang zu finden:

Entweder du führst eine Beziehung von Gleich auf Gleich oder du verbirgst deine Verletzlichkeit.

Ist Verletzlichkeit wirklich eine Schwäche? Ist es eine Ausprägung von Schwäche, wenn ich meinem gegenüber ungefiltert meine Emotionen zeige, sodass ich Enttäuschung und Ablehnung riskiere?

Für Risiko braucht man Mut. Normalerweise empfinden wir das Risko von Enttäuschung und Ablehnung als Gefahr. Du musst mutig sein, um Verletzlichkeit zuzulassen.

Schwäche und Stärke treffen sich in dem Moment, in welchem wir unsere Verletzlichkeit offenbaren. Das ist Stärke zweiter Ordnung.

So wird Verletzlichkeit als empfundenes Risiko zur Voraussetzung für eine andere Form der Stärke und zur Voraussetzung von tiefer Bindung auf Augenhöhe.

Die Entscheidung ist nun entfaltet:

Auf der einen Seite stehen Macht und Stärke erster Ordnung. Auf der anderen Seite stehen eine Beziehung auf Augenhöhe, Mut und Stärke zweiter Ordnung.

So äußert sich das Zulassen von Verletzlichkeit durch Selbstoffenbarung selbst wiederum als Stärke.

So ist auch die Paradoxie entfaltet. Wie kann Verletzlichkeit mit Stärke einhergehen? Durch Verletzlichkeit beweisen wir unsren Mut.

Doch dies ist keine Utopie. Wer Verletzlichkeit zulässt, kann tatsächlich verletzt werden. Du solltest dich entscheiden, ob eine Beziehung auf Augenhöhe wirklich etwas ist, was dir das Risiko wert ist.

Doch auch, wenn du dich gegen eine Beziehung auf Augenhöhe entscheidest, gibt es Kosten. Du drängst einen Menschen dadurch in eine schwache Position und machst dich unter Umständen zu einer schwächenden Kraft im Leben eines anderen Menschen. Willst du in Kauf nehmen, dass du deinen Partner beständig schwächst?

Jede Hilfe und Unterstützung bedeutet, dass du deinem Partner eine Gelegenheit nimmst, innere Stärke zu finden. Nimmt dein Partner diese Hilfe an, entscheidet er sich für dich als Stütze und vielleicht auch als Krücke. Der oder die Eine bleibt schwach. Das ist die unausweichliche Folge eines solchen Verhältnisses.

Kann sich dieses Verhältnis im spätere Verlauf ändern? Gegen die Möglichkeit spricht nichts. Doch will man diese Veränderung als Teil seiner gemeinsamen Geschichte aufnehmen?

Eine Gegenbewegung zum Feminismus

Eine Gegenbewegung zum Feminismus ist auf dem Vormarsch. Hier ein erstes Video zur Illustration:

Wie immer spielt das Konzept der Macht die zentrale Rolle.

Warum Donner und Pflicht manchmal wie Buddhismus klingt II

Ich lese gerade Waking up von Sam Harris und bin gerade am Anfang (ich lese zur Zeit sehr wenig in meiner Freizeit, deswegen kann sich die Lektüre noch etwas hinziehen. Also keine Fragen vor Ende des nächsten Monats zum Buch), aber eine Stelle scheint mir besonders lesenswert:

Der Buddhismus hat eine große Menge an empirischen Elementen. Oft sagt diese Lehre nur: Wenn du X tust, wirst du Y erfahren. Diese konditionale Konstruktion ist etwas, dass für mein Denken sehr typisch ist und daher selbstverständlich auch für Donner und Pflicht.

Ich denke, dass ein weiterer Grund der Ähnlichkeit daher kommt, dass ich schlicht und ergreifend über den menschlichen Geist denke und einen ähnlichen Weg gehe, wie die buddhistische Lehre.

Das Buch ist übrigens sehr lesenswert, das kann ich jetzt schon sagen. Sam Harris hat einen klugen und angenehmen Denkensstil. Er sucht nach den zugrunde liegenden Prinzipien ist spirituellen Lehren und vermutet ein gemeinsames Element des menschlichen Denkens als Ursache ähnlicher Berichte aus verschiedenen Glaubensrichtungen.

Umweltverschmutzung und der Holocaust

Thomas Metzinger macht im philosophischen Radio eine interessante Prognose.1

Wenn die nachfolgende Generation vor den Trümmern der verschmutzten und verpesteten Erde steht, wird sie die heutige Generation (2014) Fragen stellen.

Ganz so wie beim Holocaust wird niemand etwas gewusst haben und jeder wird sich als einer der wenigen Widerstandskämpfer bezeichnen.

Mir scheint diese These völlig plausibel zu sein.


  1. http://www.wdr5.de/sendungen/philosophischesradio/thomas-metzinger-100.html (2015-08-29-16:54) 

Wie man mit Nietzsche anfängt

Das ist nun das zweite Mal, dass ich die Frage gestellt bekam, also hier die Antwort, die ich bereits per Email verschickt habe:

Nietzsche ist nicht nur schwer, sondern auf verschiedene Weise zu verstehen, deswegen gebe ich dir ein paar verschiedene Komponenten.

  1. Es hilft viel, wenn du akzeptierst, dass er gerade in seiner späteren Zeit durchgeknallt war. Das heißt nicht, dass das, was er geschrieben hat, schlechter ist, aber es hilft deine Einstellung zu Nietzsche so zu verändern, dass du offener für abgedrehte Sachen bist.
  2. Nietzsche hat vor dem Hintergrund seiner Krankheit und seinen (als solche empfunden) schweren Schicksalsschläge geschrieben. Er war ein genialer aber frustrierter Mensch. Deswegen würde ich eine Biographie vorher lesen. Die, die ich gut fand, am Ende der Mail.
  3. Lies erstmal etwas anderes von Nietzsche. ASZ (Also sprach Zarathustra) ist schon ziemlich schwer für den Anfang. Fröhliche Wissenschaft und Genealogie der Moral sind leichter und helfen ziemlich beim verstehen. Schopenhauer als Erzieher ist auch sehr nützlich, um zu verstehen, woher er kommt.
  4. Nietzsche hat kein System geschaffen, wie etwa Kant oder Hegel. Er hat eine ziemlich organische Masse von teilweise widersprüchlichen Aphorismen produziert, die sich irgendwie auf wunderbare Weise zu einem Gesamtwerk fügen. Du solltest auf jeden Fall auch alles von Wikipedia zu ihm lesen, damit du die wesentlichen Motive in seinen Schriften drauf hast.

Die erwähnte Biographie:

Friedrich Nietzsche von Lisson

Wer bestimmt Wahrheit, wenn nicht du?

Ich frage mich aber, welche Konsequenzen oder Implikationen die beiden Annahmen für dich haben. Denn es gibt keine Instanz, die jemals beurteilen können wird, ob diese unabhängige Wahrheit tatsächlich existiert oder bloß ein konstruiertes Ziel unseres Denkens ist.

Gibt es tatsächlich keine Instanz? Das sehe ich anders. Ich bin diese Instanz, genauso wie du. Es ist selbstverständlich keine Instanz, die beurteilt, sondern eine, die entscheidet.

Formal gesehen, ist Wahrheit niemals unabhängig. Es gibt höchstens eine Welt, die unabhängig vom erkennenden Selbst ist. Wahrheit ist ein bestimmtes Verhältnis von Aussagen des Selbst über die Welt. Wahrheit muss also abhängig vom erkennenden Subjekt sein.

Genauso, wie die Existenz Gottes wohl niemals bewiesen werden kann, kann nie bewiesen werden, dass es eine Wahrheit gibt und welche die Wahrheit nun ist.

Wer braucht schon die eine Wahrheit? Die braucht man höchstens in der Mathematik. Im Leben geht es darum zu funktionieren und zu sein. Ich brauche keinen Beweis dafür, dass der Fußboden unter meinen Füßen mich trägt. Obwohl es dafür keinen Beweis gibt, verfalle ich nicht in Panik. Ich fühle mich sicher.

Die Suche nach Wahrheit ist die Suche nach Sicherheit. Kann man diese nicht auch durch andere Dinge erhalten. Manchmal durch Ignoranz und Dummheit. Manchmal durch einen festen Glauben. Die höchste Sicherheit ist die, welche das Selbst aus sich heraus generiert.

Dieses Denken kann aber zu Wahrheits- und darauf begründeten Legitimationsansprüchen im Sinne einer Überlegenheit (ich kenne die Wahrheit) führen.

Richtig. Die Frage ist, warum das ein Problem sein soll? Ist Überlegenheit, oder vielmehr das Gefühl von Überlegenheit, etwas Schlimmes? Eine sozial konditionierte Antwort wäre ein “Ja”. Eine aufgeklärte Antwort wäre ein “Nur Wenn”

Was passiert, wenn ich die Ergebnisse der großen Denker und Glaubenssysteme nicht akzeptiere? Bin ich dumm, weil ich die Wahrheit verleugne?

Dumm wärst du nur, wenn du sie nicht verstehen würdest. Danach kannst du sie immer noch ablehnen und ihnen Irrtum unterstellen.